Österreichische Gegenwartsliteratur:Wer die Ente stört

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Eva Menasse begründet eine Zoologie der menschlichen Beziehungen.

Von Meike Fessmann

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und selten froh, wenn seine Routinen unterbrochen werden. Auch wer vom wilden Leben träumt, liebt oft nur die Rhetorik des Ausbruchs. So zumindest ist es bei der Spezies, die in diesem Erzählband am häufigsten beschrieben wird: Mütter in einer Patchwork-Konstellation. Das ohnehin strapaziöse Familienleben wird doppelt und dreifach anstrengend, wenn zum eigenen Kind noch die Kinder der anderen Mutter mit in den Urlaub fahren und deren prüfender Blick gleich mit auf Reisen geht.

Der Tisch hat nur drei Beine und ist ein Symbol für Niederlage und Demütigung

So geschieht es in der ersten Geschichte, in der die Heldin ein ausgeklügeltes System gegen die ständigen Klagen ihrer Vorgängerin entwickelt, im neuen Haushalt ihres Ex-Mannes gingen immer Sachen verloren. Die selbst gekaufte Kinderkleidung markiert sie mit verdeckten Ösen, die mitgebrachten Taschen schüttet sie aus, um ihren Inhalt zu fotografieren. Kein Wunder, dass der Türkeiurlaub keine Erholung bringt: "Aber wer gedacht hat, dass nichts so verbindet wie eine gemeinsame Herausforderung, der verkennt, dass die Entscheidung, eine Familie und mehrere Kinder zu haben, leider bedeutet, sich selbst für Jahre um Ressourcen, Reserven und manchmal um den Verstand zu bringen."

"Tiere für Fortgeschrittene" ist nach den Romanen "Vienna" und "Quasikristalle" sowie dem Erzählungsband "Lässliche Todsünden" das vierte belletristische Werk der 1970 in Wien geborenen, in Berlin lebenden Journalistin und Schriftstellerin. Sie hat den acht Geschichten kleine, meist kurios anmutende Agenturmeldungen über Tiere vorangestellt. Nicht in jedem Fall leuchtet der Zusammenhang ein, das Signal versteht man trotzdem. "Tiere für Fortgeschrittene" kultiviert den fremden Blick auf eine Spezies, zu deren Eigenart es gehört, den ganzen "Reproduktionsscheiß" nicht aus purem Trieb mitzumachen, sondern sehenden Auges, und die sogar bereit ist, für eigene Nachkommen gehörige Anstrengungen auf sich zu nehmen; wie die Autorin selbst, die in Zeitungsartikeln offen darüber spricht, dass sie die Hilfe der Reproduktionsmedizin in Anspruch genommen hat und mehrere Fehlgeburten erlitt.

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Die meisten Erzählungen laufen keineswegs nur auf einem Gleis. Oft gibt es Nebenwege und überraschende Wendungen, auch wenn man Muster erkennt. Wie etwa in der "Raupen" titulierten Geschichte, die von einem alten Mann und seiner demenzkranken Frau erzählt. Während er selbst seine Fürsorge für die "Essenz von Liebe" hält, raten ihm die Töchter, sich lieber zeitgemäß von Dienstleistern helfen zu lassen. Unverkennbar schimmert Michael Hanekes Film "Liebe" durch.

Ein anderer Mann wurde von seiner Frau verlassen, als die Tochter aus dem Haus ging. Auch der Sofatisch steht bald nur noch auf drei Beinen und wird zum Symbol seiner Demütigung, die sich noch steigert, als er sie überwinden will. Nach dem Kauf eines neuen Tisches wird er von der Ladenbesitzerin des Diebstahls bezichtigt, ausgerechnet in der Anwesenheit einer jungen Frau, die als Teil eines verliebten Paares ins Nachbarhaus gezogen ist.

In Form einer surrealen Posse erzählt Eva Menasse von Erfahrungen, die sie in der Villa Massimo in Rom und bei den von Günter Grass initiierten Lübecker Autorentreffen gesammelt haben dürfte. Auf einem italienischen Landgut kommt eine Elite aus Künstlern und Geisteswissenschaftlern zusammen. Sie soll zur Rettung der Welt beitragen, ohne genau zu wissen, was ihre Aufgabe ist. Die Hitze bringt das Soziallaboratorium zum Köcheln und wird schließlich zum Katalysator eines recht bescheidenen Aufstands. Während alle anderen Geschichten auktorial erzählt sind, protokolliert hier ein Ich-Erzähler das Geschehen. Dass es sich dabei um einen Psychologen in der Krise handeln soll, passt weder zum Setting noch zur Erzählweise mit ihren vielen Anspielungen, die von Lewis Carroll über Borges bis zu Gertrude Stein und Schrödingers Katze reichen.

Trotz des Geschicks im Umgang mit Stoff und Handlungsdramaturgie unterlaufen Eva Menasse gelegentlich stilistische Schnitzer. Viele Klischees finden sich in der einzigen Geschichte, in der die Tier-Parabel auch in die Handlung integriert wird. Bei der Rettung eines Igels stellt sich darin eine Liebe über Kreuz nach dem Wahlverwandtschaften-Modell ein. Da heißt es etwa über den einen der beiden älteren Herren, er sei gealtert "wie guter Wein", und über den anderen, dass es ihn in den Augen kluger Frauen "ziert", eine ungefähr gleichaltrige Frau zu haben: "es peppt solche Männer auf, wenn sie keine geruchlosen Jungpuppen an der Seite haben". Wer soll so etwas sagen und das vermeintliche Kompliment mit einem Verb vergiften, das sich nach Schnittmuster-Heftchen der Fünfzigerjahre anhört?

Die letzte Geschichte trägt als Wappentier die Ente, von der wir erfahren, dass sie immer nur mit einer Gehirnhälfte schläft. Sie ist das Glanzstück des Bandes. Psychologisch präzise erzählt Eva Menasse hier auf dem seit ihrem Debütroman erprobten Terrain ihrer jüdisch-katholischen Familiengeschichte von der Entfremdung eines Paars, das nicht nur in der Altstadt von Florenz in eine Sackgasse geraten ist, sondern auch in seiner Ehe. "Mit minderen Problemen als dem Tod" durfte Jenna ihren Eltern nicht kommen. Sie wird von Panikattacken heimgesucht, während ihr deutscher Mann dem Sohn von den Nazis erzählt. Der Plüschaffe, der als Abschiedsgeschenk für den Geliebten gedacht war, liegt im Arm des Sohnes. Er wird ihn wohl behalten wollen. Und der "Patchwork-Wahnsinn" nimmt seinen Lauf.

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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