Österreich: "Kronen-Zeitung" macht Politik:Onkel Hans und die Angst

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In Österreich herrscht die Kronen Zeitung des mächtigen Mediengreises Hans Dichand. Was Macher und Medium unter das Volk bringen, hat Gewicht in der Alpenrepublik.

Von Michael Frank, Wien

Hans Dichand fühlt sich unter Wert geschätzt. Der 87-jährige Herausgeber der Neuen Kronen Zeitung, Österreichs größten Boulevardblattes, will nicht recht glauben, dass es plus/minus "nur" drei Prozentpunkte gewesen seien, die sein Wirken den Parteien des Landes gebracht oder gekostet habe. "Das kommt mir ein bisserl wenig vor", lässt Dichand die Nation wissen.

Mitmischen, einmischen, aufmischen - so könnte die Blattlinie der österreichischen "Kronen Zeitung" lauten. Die politische Elite der Alpenrepublik duckt sich nicht selten unter der spitzen Feder des Herausgebers Hans Dichand. (Foto: Screenshot: www.krone.at)

Will heißen: Die Krone, wie das Blatt hierzulande genannt wird, hat die Nationalratswahl am 28. September gewonnen, niemand sonst.

Nicht wenige Kommentatoren und viele Politiker sehen das genauso. Letztere fürchten Reaktionen und Kampagnen dieses Blattes wie die des Landvogts. So mancher Regierender hat sich oftmals mit der Redaktion der Krone abgesprochen, bevor Pläne und Projekte überhaupt dem Bundeskabinett im Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz vorgelegt wurden.

Dass die Sozialdemokraten unter Krone-Liebling Werner Faymann trotz hoher Verluste einen erklecklichen Vorsprung vor der noch schlimmer eingekochten Volkspartei halten konnten und mit der Regierungsbildung beauftragt werden, ist auch einer frenetischen Kampagne der Dichand-Postille zu danken, glauben viele.

Monopol auf die öffentliche Meinung

Die in Wien erscheinende Neue Kronen Zeitung ist ein Phänomen, selbst im internationalen Rahmen. Sie verkauft ungefähr zwischen 800 000 und 900 000 Exemplaren täglich, sieben Mal die Woche.

Da in Österreich Angaben über Verkaufsauflagen nicht recht zu glauben ist, nutzt man als Maß der Wirksamkeit die sogenannte Reichweite. Und da rühmt sich das Blatt, mehr als drei Millionen Österreicher, also nahezu 40 Prozent der Gesamtbevölkerung von acht Millionen, zu erreichen - eine Verbreitung und Wahrnehmung, die nicht einmal Parteiblätter totalitärer Staaten aufzuweisen hatten und haben. In demokratischen Gesellschaften ist so ein Monopolanspruch auf die öffentliche Meinung einmalig.

Zweifel sind berechtigt, ob es sich bei der Krone überhaupt um ein journalistisches Produkt handelt. Wer je die Redaktion im Hochhaus an der Muthgasse - im schäbigsten Teil des noblen 19. Wiener Gemeindebezirks - betreten hat, spürt sofort die Andersartigkeit: Hier fehlt die Tageszeitungsredaktionen eigene Hektik. Dem Gast tritt stiller, freundlicher Gleichmut entgegen.

Eine heitere Gelassenheit, die nur pflegen kann, wer sich höherer Aufgaben sicher weiß: Die Neue Kronen Zeitung ist Verkünderin des gesunden Volksempfindens der österreichischen Nation. So hält man es in den Redaktionsstuben dieses seltsam grauen, ungemein altmodischen Kleinformats - die Krone ist kaum größer als eine DIN-A4-Seite - für durchaus normal, dass sich Politiker des Landes am Blatt orientieren. In ihm wohnt der Volkswille.

Dass sie auch mal danebenliegen könnten, die Idee kommt Krone-Machern nicht. Nach Art beleidigter Potentaten geht man auch gerne mit Klagen und Kampagnen gegen Kritiker vor. Nicht immer mit Erfolg: Österreichs Gerichte befanden einst eine Karikatur für völlig in Ordnung, die Dichand als Schwein zeigte, nachdem die Krone Lügen vom Doppelleben einer Mordangeklagten als Hure gebracht hatte.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die Kronen Zeitung versucht, die österreichische EU-Politik zu boykottieren.

Die Macht dieser Zeitung ist mehr Projektion als Wirklichkeit. Ein wichtiger Mann der ÖVP hat einmal eingestanden: "Man hat Angst vor ihr, also arrangiert man sich."

Ein extremer, öffentlich nachvollziehbare Fall war vor kurzem der Schwenk der SPÖ in der EU-Politik, der zum Bruch der großen Koalition mit der ÖVP und der soeben abgehaltenen Neuwahl geführt hat.

Die fundamentale Änderung in der Parteilinie haben Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Faymann als sein präsumtiver Nachfolger ausgerechnet in einem Leserbrief kundgetan, der an Krone-Chef Dichand persönlich gerichtet war. Dies ist als feiges Ranschmeißen an eine Zeitung gedeutet worden, die eine Kampagne gegen alles führt, was die EU betrifft oder den Vertrag von Lissabon.

Der Lohn fiel üppig aus. Der bis dahin geprügelte Gusenbauer wurde prompt in Ruhe gelassen. Und eine latente Vorliebe für den schmucken Herrn Faymann schlug in schrilles Liebesflöten um.

Als wohl einzige Zeitung der Welt hat die Krone einen gereimten Leitartikel, die täglichen Knittelverse des Wolf Martin, treuestes Sprachrohr des Herausgebers und 50-Prozent-Eigentümers Dichand: "Glatt ist der Faymann wie ein Aal? / Nein, mutig ist er und sozial./ Mit klarem Wort und offnem Blick / macht er die beste Politik!"

Die im Schatten bedichtet Martin so: "Bei Plassnik, Molterer und Schüssel, / in Wien genauso wie in Brüssel, / in Schurken- und vereinten Staaten /und bei den Dschungelpotentaten / wird Geld für Waffen ausgegeben, / statt für der Völker bessres Leben."

Totalitäres Weltbild

Wer da Ironie vermutet, irrt. Denn die zweite Säule dieser Zeitung ist ihre Humorlosigkeit. Nur mit Ausnahme des Fernsehkommentators "Telemax" herrscht der Tiefernst. Die Bild-Schlagzeile: "Wir sind Papst" wäre mit ihren absurden Untertönen für die Krone undenkbar.

Bedeutungsschwer beherrschen Erörterungen über die Gefährlichkeit der Ausländer als Sozialkonkurrenten und Kriminelle die Inhalte und darüber, dass drakonische Ordnungsvorkehrungen nur der fürchten muss, der etwas zu verbergen oder gar ausgefressen hat.

Das totalitäre Weltbild der Krone erboste zwischendurch sogar den WAZ-Konzern, der die andere Hälfte an dem Blatt hält. Versuche, dem Partnerverleger die politische Hetze in seinem Blatt auszureden, scheiterten an der vertraglichen Alleinherrschaft Dichands. Doch wie beherzt waren die Domestizierungsversuche aus Essen wirklich? Die Krone macht Geld.

Damit hängt wohl auch die Vorliebe für den SPÖ-Vorsitzenden und Kanzleraspiranten Werner Faymann zusammen. Der war lange Zeit Baustadtrat in Wien und dann Infrastrukturminister, beides Ressorts mit ausladendem Mitteilungsbedürfnis, was sich oft in großformatigen Anzeigen in der Krone niederschlug.

Herausgeber Dichand wird vom Politiker Faymann aufgrund langjähriger Vertrautheit angeblich "Onkel Hans" genannt. Und Onkel Hans, das erzählt er seinen Lesern immer wieder in mit "CATO" gezeichneten Kommentaren, sind Dankbarkeit, Pflicht und Treue die höchsten Güter.

Der frühere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel oder Außenministerin Ursula Plassnik von der ÖVP haben oft bewiesen, dass sich in Österreich sehr wohl Politik gegen die Kronen Zeitung machen lässt. Dass die ÖVP bei dieser Wahl so miserabel wie nie in ihrer Geschichte abgeschnitten hat - wie übrigens die SPÖ auch, die nur weniger verloren hat - lag weniger am publizistischen Gegner als an der eigenen Politik.

So sehen es auch wissenschaftliche Mediendeuter. Die publizistische Macht eines Dichand und seines Revolverblattes ist nur so groß, wie man sie macht. Die Annahme all zu vieler Politiker, ein jeder Krone-Leser sei gleichsam dem Haupte des Herausgebers Dichand entsprungen und deshalb immer dessen Meinung, ist Unsinn. Nur die Angst, es könnte doch so sein, macht die Neue Kronen Zeitung so stark.

© SZ vom 8.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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