Oasis-Album: "Dig Out Your Soul":Überlebenspraktisches Mackertum

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Stolz, ohnmächtige Wut und Wahrhaftigkeit: Die Gallagher-Brüder und ihre Band Oasis lassen mit ihrem neuen Album wieder die Wut der Straße aufleben.

Jens-Christian Rabe

Die Band Oasis, um deren neues, siebtes Album es hier gehen soll, hat seit ihrem 1994 erschienenen Debütalbum insgesamt gut 50 Millionen Platten verkauft.

Überlebenspraktisches Mackertum: Oasis-Sänger Liam Gallagher. (Foto: Foto: AP)

Das sind zwar schon um die 70 Millionen Tonträger weniger als etwa, sagen wir, Modern Talking bis zu ihrer Auflösung unter die Leute brachte oder - um musikalisch und geographisch Vergleichbareres ins Spiel zu bringen - 150 Millionen weniger als Pink Floyd und 250 Millionen weniger als Led Zeppelin.

Es sind aber eben doch auch so viele Platten, dass man ohne weiteres sagen kann, dass wir es bei der britischen Band Oasis mit einer der großen Rockbands der Gegenwart beziehungsweise der jüngsten Vergangenheit zu tun haben.

Richtig ist aber auch, dass ihre größte Zeit inzwischen weit zurückliegt. Genau genommen fast 15 Jahre. Für die kritischsten unter ihren Verehrern dauerte die beste Zeit kaum anderthalb Jahre, vom Frühjahr 1994 - da erschien das Debütalbum "Definitely Maybe" - bis zum September 1995, dem Monat der Veröffentlichung des Nachfolgers "(What's the Story) Morning Glory", der mit "Wonderwall" den Überhit der Band enthielt.

Oasis klangen wie eine Rockband der Siebziger auf Beatles-Trip. Völlig schlagende, makellose, gerne hymnische Popmelodien und -harmonien rahmten wuchtig hingerotzte Gitarrenwände ein, ein paar große Pop-Balladen fehlten auch nicht.

Oasis-Musik drückte einen erst an die Wand und verlangte dann, bitteschön, mit ganzem Herzen mitzugrölen: Na-na-na-na-na-na-na - naaaa-naaaa-naaa-naaaaa! Der britische Pop war wieder da und Oasis die größte Band der Welt. Die Beatles waren ungleich subtiler, doch Oasis waren effektiv.

Vertonter Kokainexzess

Der kommerzielle Erfolg hielt entsprechend an. Das dritte Album "Be Here Now", das nicht nur die größten Fans, sondern auch die Band selbst heute völlig übertrieben als mit Abstand schlechtestes, geradezu peinliches Werk geißeln - dieses Album, das immerhin noch zwei Nummer-eins-Hits enthielt, ist bis heute in Großbritannien das am schnellsten verkaufte Album aller Zeiten. Allein in der ersten Woche verkauften sich knapp 700.000 Exemplare. Und der letzte britische Nummer-eins-Hit, "Let There Be Love" vom sechsten Album "Don't Believe The Truth", stammt aus dem Jahr 2005.

Dennoch, wenn man so liest und hört, was jetzt zur neuen Platte "Dig Out Your Soul" (Big Brother, 2008) vorab gesagt und geschrieben wurde, dann ist sie genau genommen nicht das siebte Album der Band, sondern eben doch nur das fünfte, von dem erwartet wird, dass es besser oder wenigstens genauso gut sei wie die beiden ersten - und das den Ansprüchen dann wieder nicht wirklich entspricht.

Der Band, besonders ihrem Chef und wichtigsten Songschreiber Noel Gallagher ist das inzwischen aber völlig egal. Es ist deshalb auch irreführend, wenn behauptet wird, die Band versuche seit einem Jahrzehnt, den vertonten Kokainexzess "Be Here Now" vergessen zu machen. Sie hatte doch vorher schon alles erreicht.

"Dig Out Your Soul" klingt etwas befreiter, druckvoller als der Vorgänger "Don't Believe The Truth", an der treibenden, dominanten Flächigkeit der Gitarren-Arrangements hat sich prinzipiell jedoch kaum etwas geändert.

Die Leinwand für Oasis-Tracks ist breit. Die erste Single "The Shock Of The Lightning" sollte deshalb unbedingt sehr laut gehört werden. Die Melodien und Akkord-Progressionen sind weiter eher schlicht gehalten.

Sämtliche Griffe des Eröffnungssongs "Bag It Up" kann man auf der Gitarre mühelos mit einem einzigen Finger der linken Hand greifen. Große Chöre sind zu hören in "The Turning", wuchtige Trommeln auf "(Get Off Your) High Horse Lady", eine dengelnde Sitar auf "To Be Where There's Life".

Und überall lauern Beatles-Zitate. Ringo Starrs Sohn Zak Starkey spielt auf der Mehrzahl der Aufnahmen Schlagzeug. Am Ende der Ballade "Outta Time" rauscht kaum hörbar ein Ausschnitt aus einem der letzten John-Lennon-Interviews vorbei. Es ist dennoch eine ernste Wucht in dieser Platte, die sich nicht allein aus der musikalische Vergangenheit erschließt.

Schon ganz früh, 1995, hat der britische Journalist Jon Savage in der Londoner Zeitung Guardian die besondere Mentalität der Band, insbesondere ihrer beiden Schlüsselfiguren (und mittlerweile auch einzigen Gründungsmitglieder), thematisiert, ihr aggressives Außenseitertum trotz des riesigen Erfolges.

Ausgehend von dem Eindruck, dass unter dem oberflächlichen Hedonismus der Band ein scharfes soziales Bewusstsein lauert, ging er der Frage nach, woher die Band eigentlich kommt. Und landete im unterklassigen irischen Immigrantenmilieu Manchesters, in weit vom Zentrum entfernten Vororten wie Stretford, Wythenshawe und Burnage.

Dieses Milieu kennzeichne, so Savage, nicht nur eine stabile Ordnung, relativer Wohlstand und ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern eben auch Armut, Arbeitslosigkeit, kaputte Elternhäuser, Drogenkonsum und ein feines Gespür der Bewohner für ihre prinzipielle Marginalisierung innerhalb der englischen Gesellschaft.

Ganz langsam verschwinden

Diese besondere Mischung aus sozialer Wärme, Stolz und ohnmächtiger Wut, diese Ambivalenz identifiziert Savage als inneren Antrieb der Band. Was schließlich auch erklärt, wie es möglich war und ist, dass Menschen, die die Medien vor allem als dumpfe Proleten zeigen, ihre Konzerte dennoch zu so wohligen Zusammenkünften machen können.

Wenn jetzt geschrieben wird, Oasis hätten mit dem neuen Album ihr Klassenbewusstsein wiedergefunden, ist das nicht richtig. Sie hatten es nie verloren. Ihr notorisch unverhohlener arroganter Größenwahn ist auch auf der neuen Platte wieder allgegenwärtig.

Er muss jedoch als Behauptungsgeste der Straße, als überlebenspraktisches Mackertum gelesen werden und nicht als prätentiöse Künstlermarotte. Er ist zugleich ernster und viel spielerischer gemeint. Die Größe dieser Band besteht darin, sich damit eine im Popgeschäft prinzipiell unwahrscheinliche Wahrhaftigkeit bewahrt zu haben.

Unter normalen Umständen klänge es komplett unglaubwürdig, wenn ein Popstar aus der Liga Noel Gallaghers in Interviews lakonisch feststellte, dass ihm das Publikum des Glastonbury-Festivals, eines der größten Open-Air-Pop-Festivals der Welt, zu vornehm geworden sei und nicht mehr "dieselben Dinge wie ich" möge. Er selbst gehöre schließlich "hier drin" (dabei legte er die Faust aufs Herz) zur Arbeiterklasse, Oasis-Konzerte seien für gewöhnliche Menschen gedacht. Von der zweiten Million an wirkt so eine Sozialromantik in der Öffentlichkeit meist unangenehm anbiedernd, wie eine neue PR-Strategie.

Der normale Popstar sollte sich unbedingt auch Sätze verkneifen wie diesen von Noel Gallagher: "Ich wüsste nicht, was es für uns noch zu erledigen gäbe." Der normale Popstar tritt gefälligst aufs Gas. Der Popstar aber, der in Burnage aufgewachsen ist, fragt sich, warum er ausbrennen sollte, wenn er es sich leisten kann, nur ganz langsam zu verschwinden.

© SZ vom 10.10.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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