NS-Gedenkstätten als Drehorte:Diese unkontrollierbaren Bilder

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Auch ohne den Ober-Scientologen Tom Cruise hätte es nicht so einfach grünes Licht für den Stauffenberg-Dreh am Originalschauplatz gegeben: NS-Gedenkstätten misstrauen dem Kino - selbst Steven Spielberg musste tricksen.

Sonja Zekri

Steven Spielberg löste das Problem mit einem Trick. Er hatte "Schindlers Liste" im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz drehen wollen, genauer, in Birkenau, bekam aber keine Drehgenehmigung. Von "Verwüstung" sprach der damalige Direktor des Museums, Jerzy Wroblewski, andere befürchteten den vulgären Ausverkauf hunderttausendfachen Leids an Hollywood. Spielberg hätte die Barackenreste auf dem riesigen Gelände wieder aufbauen müssen, hätte den Ort des Grauens "zurückerfinden" müssen - undenkbar. Also ließ er die Filmbaracken direkt vor dem Lager errichten, auf der anderen Seite des riesigen Backsteintors, ein Zug rollte aus dem Tor in sein Kulissenlager: der Birkenau-Effekt, nur spiegelverkehrt.

Nicht nur Tom Cruise bekommt keine Drehgenehmigung an Orten des NS-Terrors. (Foto: Foto: Reuters)

Der deutsche Regisseur Robert Thalheim erzählt diese Geschichte, denn auch er hat für seinen Film "Am Ende kommen Touristen", der Mitte August in die Kinos kommt, nicht auf dem Gelände des Lagers drehen dürfen, obwohl er nichts hätte aufbauen müssen. Thalheims Film erzählt die Geschichte eines deutschen Zivildienstleistenden in Auschwitz, der einen ehemaligen Häftling betreut. Ein "Pulverfass" sei Auschwitz, habe Thalheim eine Mitarbeiterin nach zähen Verhandlungen gesagt. Bis in die Sechziger waren Dreharbeiten etwa polnischer Filme erlaubt, "aber es war merkwürdig, wenn ehemalige Häftlinge mit Besuchergruppen auf Schauspieler in SS-Uniformen trafen", sagt Thalheim. Man wolle nicht entscheiden, ob ein Film gut oder schlecht sei, hieß es in Auschwitz - und so dürfen nun gar keine Spielfilme mehr gedreht werden.

Das Kino und die Gedenkorte - das ist eine schwierige Beziehung. Auch ohne den Ober-Scientologen Tom Cruise hätte eine Hollywood-Produktion über Stauffenberg nicht ohne Weiteres eine Drehgenehmigung bekommen. "Und das Cruise-Drehbuch kannte keiner, das hätte man ohnehin prüfen müssen", sagt Peter Steinbach, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Dann hätte er, Steinbach, vielleicht aus inhaltlichen Gründen abgelehnt, aber nicht wegen der Sekten-Zugehörigkeit des Stars, dessen Projekt ja nun immerhin mit fünf Millionen Euro aus dem Deutschen Filmförderfonds unterstützt wird.

Jo Baier habe seinen Fernsehfilm über Stauffenberg zwar auch hier gedreht; und bei Dokumentarfilmen sei man großzügig. Aber im Bendlerblock hat nicht Steinbach Hausrecht, sondern das Finanzministerium, und Dokumentarfilme haben es ohnehin leichter. Sie arbeiten nicht mit hundertköpfigen Crews, sondern mit Miniteams, weniger zerstörerisch, kontrollierbarer. Claude Lanzmann drehte für seinen monumentalen Vierteiler "Shoah" (1985) in Auschwitz, Treblinka und Chelmo. Alain Resnais durfte für "Nacht und Nebel" Mitte der Fünfziger in den maroden Resten von Birkenau filmen. Aber Fiktion?

Die Gedenkstätte Dachau erlaubt Dokumentarfilme zur Not, Kino-Produktionen auf keinen Fall. In Buchenwald, wo Frank Beyer Anfang der Sechziger Bruno Apitz' Roman "Nackt unter Wölfen" verfilmte, gilt das Gleiche, gerade nach Beyers Film. "Die Baracken und Fundamente hatte die DDR verfallen lassen, aber das sozialistische Zentralnarrativ - übers Kämpfen und Sterben zum Sieg - wurde erst in Roman und Film doppelt fiktionalisiert und dann durch die authentische Kulisse wieder historisch beglaubigt", sagt Gedenkstättenleiter Volkhard Knigge.

Vor allem nach Spielbergs Film stünden die Gedenkstätten heute vor dem Dilemma, dass die Besucher die Fiktion für authentischer halten als die Realität : "Sie glauben, das Lager müsse so aussehen wie im Film." Die Gedenkstätten, die große Friedhöfe sind, dürften nicht "profanisiert" werden, sagt Knigge, und da schwingt ein Frivolitätsverdacht mit, als würden Dokumentationen nicht auch inszenieren und eigene, unauslöschliche Bilder schaffen.

Wo jeder Hot-Dog-Stand im Schatten der Geschichte liegt

Aber warum drängt es Regisseure überhaupt an diese spröden Drehorte, wo sich im Studio oder am Computer Tor und Rampe leicht produzieren lassen? Es gibt eindrucksvolle Werke wie Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher" oder Roberto Benignis "Das Leben ist schön", die ganz ohne authentische Baracken auskommen. Auch die Stauffenberg-Filme von Georg Wilhelm Pabst und Falk Harnack, die 1955 in die Kinos kamen, wurden nicht im Bendlerblock gedreht. Hingegen legte Florian Henckel von Donnersmarck Wert darauf, einige Szenen für "Das Leben der Anderen" in der Berliner Stasi-Zentrale zu filmen.

Dass es nur um die Kulisse geht, die selbst eine matte Geschichte mit einer unheimlichen Aura auflädt, lässt Robert Thalheim nicht gelten. Er hat als Zivildienstleistender in Auschwitz gearbeitet und wurde von den Widersprüchen eines Ortes überwältigt, an dem jeder Hotdog-Stand im Schatten der Geschichte liegt. "Ich wollte nicht demonstrieren: Ah, das ist alles real!', sondern dem, was ich erlebt habe, so nah wie möglich kommen. An so einem Ort passiert etwas mit den Schauspielern", sagt er. Es geht nicht direkt ums ästhetische Endprodukt, das Lager ist für den ästhetischen Prozess nicht ersetzbar.

Die Frage der Authentizität, des Aufbewahrens und Inszenierens beschäftigte die Gedenkstätten seit Jahren, vielleicht rührt daher das Misstrauen gegen die Fiktion. Und manche Drehbücher bestätigen schlimmste Erwartungen. Unlängst lehnte Knigge einen Kinofilm ab, in dem sich eine ehemalige Buchenwald-Insassin in Weimar in einen Pizza-Bäcker verliebt. Buchenwald aber war ein Männerlager.

© SZ vom 6.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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