NS-Auktion:Hitlers Krawatte

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Sonja Zekri ist Leiterin des Feuilletons. (Foto: N/A)

In München werden Görings Unterhose und Hitlers Krawatte versteigert. Darf man 70 Jahre Kriegsende Geld mit der Unterwäsche der Massenmörder verdienen?

Von Sonja Zekri

Zwei Orte, zweimal NS-Zeit, dazwischen ein Abgrund und die Frage: Was darf man zeigen? An diesem Samstag will das Auktionshaus Hermann Historica in München Gegenstände aus dem Besitz von Nazi-Größen versteigern, und obwohl sich das Haus sehr, sehr wortkarg, ja, nachgerade verdruckst gibt und eigentlich gar nicht an großer Öffentlichkeit und schon gar nicht an Journalisten interessiert ist, drang das Ganze natürlich nach außen. Seitdem weiß man, dass Hermann Göring eine Bundweite von 114 Zentimetern in seiner Seidenunterhose hatte. Und dass Hitler einen Hundesteuerbescheid nachweisen konnte. Diese Objekte nämlich gehören zu den Losen, ebenso wie Stücke jener Stricke, mit denen Nazi-Kriegsverbrecher in Nürnberg hingerichtet wurden. Sie stammen aus der Sammlung des Amerikaners John Lattimer, der bei den Nürnberger Prozessen als Militärarzt arbeitete und zu den verurteilten NS-Verbrechern deswegen ein besonderes Verhältnis pflegte.

Direktoren historischer Museen und Gedenkstätten haben gegen die Versteigerung protestiert, der Zentralrat der Juden hat seinen Abscheu ausgedrückt. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter hat Bedenken. Die interessantesten Überlegungen aber wirft die urbane Topografie auf: Nicht weit vom Auktionshaus liegt das Münchner NS-Dokumentationszentrum. 70 Jahre hat München gebraucht, ehe es im vergangenen Jahr endlich eine solche Stätte für die Erinnerung an die Vergangenheit als "Hauptstadt der Bewegung" einrichtete. Es steht auf dem Boden des einstigen "Braunen Hauses", der NS-Parteizentrale, inmitten des ehemaligen NS-Verwaltungsbezirks und pflegt in seiner Ausstellung, trotz oder gerade wegen dieser Nähe zu den auratisch aufgeladenen Bauten, ein maximal distanziertes Verhältnis zu den Zeugnissen von damals: Keine Realien, keine Originale, keine Objekte, nur Kopien, Fotos, Faksimiles. Nichts, was auch nur den Hauch einer Aura oder das leiseste Fetisch-Potenzial erkennen ließe, ist hier zu sehen. Und nun kann man ein paar Hundert Meter entfernt Görings Unterhose kaufen.

70 Jahre nach Kriegsende verdient jemand Geld mit der Unterwäsche der Mörder

In gewisser Hinsicht zeigt sich darin die Schizophrenie der Münchner im Umgang mit ihrer Vergangenheit, dieses manchmal erratische Schwanken zwischen Verdrängung und missionarischem Anspruch. Das alles kann Menschen außerhalb Münchens sehr gleichgültig sein, nicht aber die Überlegung, was man denn nun zeigen darf von diesem kontaminierten historischen Treibgut, und wie es gezeigt werden sollte und ob nicht beide Arten des Umgangs auf ihre Art Extreme sind: Die kontextlose Darbietung von NS-Devotionalien ebenso wie ihre zwanghafte Neutralisierung.

Denn wenn die Zeitzeugen sterben, bleiben: die Dinge. Und sie gilt es klug zu nutzen. Natürlich muss man überlegen, welche Objekte man zeigt. Hitlers Krawatte bietet kaum historischen Erkenntnisgewinn, die Stricke der in Nürnberg Gehenkten eher einen Splatter-Effekt. Das wissen die Historiker.

Museen und Gedenkstätten könnten ja mitbieten, hat das Auktionshaus verlauten lassen. So kämen die Objekte nicht in die falschen Hände. Das ist scheinheilig. Denn es bleibt die Tatsache, dass jemand mehr als 70 Jahre nach dem Ende der NS-Zeit mit der Unterwäsche der Massenmörder Geld verdient. Man sollte die infizierende Wirkung natürlich nicht überschätzen. Kein Mensch wird zum Nazi, weil er Görings Bundweite kennt. Und dass das Internet einen riesigen Grau- und Schwarzmarkt bietet, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber alle diese Überlegungen machen die Auktion in München nicht weniger verwerflich.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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