New Yorker Frühjahrsauktionen:Ausverkauft

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Was die Auktionshäuser als "Meisterwerke" bewerben, sind oft zweitrangige Arbeiten. Die besten Stücke sind längst in festen Händen, der Nachschub stockt.

Von Ulrich Clewing

Der Kunstmarkt steht Kopf. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die Preise betrachtet, die in den letzten Monaten bei Auktionen erzielt wurden. Die jüngsten Beispiele aus New York: Am Dienstag, als die Sammlung von Peggy und David Rockefeller versteigert wurde, wechselten unter anderen die Besitzer: Seurats "Die Reede von Grandchamp" (30 Millionen Dollar), Matisse' "Odaliske mit Magnolien" (81 Millionen), Monets "Seerosenteich" (85 Millionen) und Picassos "Junges Mädchen mit Blumenkorb" (115 Millionen). Schon als im November der Leonardo da Vinci zugeschriebene "Salvator Mundi" für 450 Millionen versteigert wurde, schüttelten Beobachter ungläubig den Kopf. "Eine rationale Erklärung", so die NZZ damals, "schließt sich aus."

Doch der Kunstmarkt steht nicht Kopf. Für diese exorbitant hohen Zuschläge gibt es gute Gründe. Die vielen Millionen, die für Kunst ausgegeben werden, taugen immer weniger als Indikatoren für Qualität, sondern sind Folge einer immer größeren Diskrepanz von Angebot und Nachfrage. Letztere ist seit den Nullerjahren exponentiell gestiegen, während das Angebot sich immer weiter verknappte.

Aus dem westlichen Markt ist ein Weltmarkt geworden. Doch das Angebot wuchs nicht mit

Es gibt so viele Milliardäre wie nie zuvor, die um immer weniger prominente Stücke, die überhaupt in den Handel kommen, konkurrieren. Und zwar nicht nur im Westen, sondern auch in Russland, China und dem Nahen Osten. Aus dem westlichen Kunstmarkt ist ein globaler geworden, auf dem außer den privaten Sammlern auch immer mehr Museen aktiv sind. Auch entdecken immer mehr Länder die Kunst als Mittel der Kulturpolitik und Tourismusförderung, allen voran die überaus potenten Vereinigten Arabischen Emirate. Und bei all diesen Veränderungen in der Welt ist der allgemeine Kunstgeschmack und der kunsthistorische Kanon, zumindest was die westliche Kunst angeht, erstaunlich stabil geblieben.

Und ohnehin befinden sich die wirklich großartigen Gemälde der Klassischen Moderne, die im Schaffen ihrer Urheber tatsächlich eine zentrale Rolle innehaben, längst in den großen Museen, im Musée d'Orsay, der Tate Gallery, im Metropolitan und dem MoMA. Und sind sie einmal dort, bleiben sie meist für lange Zeit.

All das hat dazu geführt, dass nicht alles, was jetzt als Spitzenwerk vermarktet und zum Spitzenpreis verkauft wird, auch wirklich ein Spitzenwerk sein kann. Über Leonardos "Salvator Mundi" etwa ließe sich vieles sagen. Klar ist aber, dass im Louvre niemand auf die Idee käme, die Mona Lisa oder "Johannes den Täufer" abzuhängen, um dafür Platz zu schaffen.

Ähnlich verhält es sich mit Picassos Blumenmädchen für 115 Millionen Dollar. Die PR-Abteilung von Christie's versäumte nicht zu erwähnen, das Bild stamme aus dem Besitz der Schriftstellerin und Picasso-Fördererin Gertrude Stein. Bei der Frage, wer dort dargestellt wurde, verlor man sich dann allerdings im Vagen. Wer die bedauernswerte Linda mit ihren geschätzt kaum dreizehn Jahren wirklich war, davon hat der Picasso-Biograf John Richardson geschrieben. Demnach bot Linda vor dem Moulin Rouge in ihrer Not nicht nur Rosen feil, sondern auch ihren Körper. Richardson, als junger Mann ein Vertrauter Picassos, meint, dass wohl auch ihr Porträtist ihre Dienste in Anspruch nahm.

Das Bild zählt jedenfalls nicht zu den stärksten Arbeiten Picassos aus den Jahren um 1905, als es entstand. Das gleiche gilt auch für alle anderen Kunstwerke der Rockefeller-Sammlung. Die bedeutendsten Maler waren darin präsent, mit Bildern, in die man sich lange vertiefen kann. Doch Meisterwerke sind sie nicht.

Das gilt auch für die Werke, die nächste Woche bei den regulären Frühjahrsauktionen in New York versteigert werden. Höhepunkt bei der Sotheby's-Auktion mit Moderne und Impressionisten am Montag ist ein Akt von Amedeo Modigliani, "Nu couché", bei dem der Maler das Gesäß des Modells so betonte, dass man das Bild wohl nicht zu seinen besten, schillerndsten, zerbrechlichsten zählen kann.

Von Claude Monet ist ein "Morgen an der Seine" aus dem Jahr 1896 zu haben, ein schönes, etwas düsteres Gemälde, das bei nüchterner Betrachtung für Monet als guter Durchschnitt durchgeht. Auch von Picasso hat man bei Sotheby's etwas zu bieten: "Le Repos" von 1932 zeigt auf reizende, lyrische Weise Picassos damalige Geliebte Marie-Thérèse Walter. Unter seinen großen Werken ist es definitiv nicht. Und auch der Munch von 1902 ist ein schönes Bild, doch es müsste nicht zwangsläufig in die ständige Sammlung des Osloer Munch-Museums. Die Schätzungen? Der Munch zwischen 10 und 15 Millionen Dollar, der Picasso 25 bis 35 Millionen, Monets "Morgen" 18 bis 25 Millionen und Modiglianis Rückenakt um die 70 Millionen Dollar.

Um wirklich große Kunst zu sehen, muss man nur ins Museum gehen

Bei Christie's, wo es nach Rockefeller ebenfalls weitergeht, ist die Lage vergleichbar. Kasimir Malewitsch ist vertreten mit einer suprematistischen Komposition aus dem Jahr 1916, die bis zu ihrer Restitution im Jahr 2008 immerhin im Stedelijk in Amsterdam hing (und nun etwa 70 Millionen bringen soll). Picassos "Matrose" stellt angeblich ein Selbstporträt dar, was man glauben kann oder auch nicht, und wird auf 70 Millionen Dollar geschätzt.

Von Matisse ist eine weitere Odaliske zu haben; für das Bild stand dieselbe Frau Modell wie für das Rockefeller-Gemälde, nur ist es diesmal ein Hochformat. Es ist relativ moderat mit 15 bis 20 Millionen Dollar taxiert. Und von Brancusi kommt eine eigentümlich unproportionierte Plastik ("La Jeune Fille Sophistiquée" - Porträt Nancy Cunard). Sie ist längst nicht so elegant wie die herausragenden Werke des Künstlers, sondern erinnert in unfreiwilliger Komik mehr an eine Mischung aus der Venus von Willendorf und einem Jeff Koons. Schätzpreis: ebenfalls rund 70 Millionen Dollar.

Alle diese Arbeiten sind wunderbare Beispiele dafür, was Kunst vermag. Aber sie alle sind keine Meisterwerke im engeren Sinn. Sofern man nicht gerade ein Freund von PR-Superlativen ist, muss das keine schlechte Nachricht sein. Im Gegenteil: um die wahren Meisterwerke zu sehen, muss man eigentlich nur mal ins Museum gehen.

Und was Picassos junges Mädchen und Gertrude Stein betrifft: John Richardson hat da noch ein paar andere Informationen. Laut Richardson mochte die Schriftstellerin das Blumenmädchen nicht sonderlich. Sie fand, Picasso habe die Füße nicht gut gemalt und überwarf sich deswegen sogar beinahe mit ihrem Bruder Leo, mit dem sie in der Rue de Fleurus in Paris eine Wohnung teilte. Ein Meisterwerk sah sie darin auf jeden Fall nicht. Um Richardson wörtlich zu zitieren: "She hated it."

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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