Es gibt Künstler im Pop, die werden einfach sehr gerne gemocht, manchmal sogar geliebt, wegen ihrer Musik oder ihrer Haare oder beidem. Das war's dann aber auch schon. Und dann gibt es Künstler, bei denen ist die Liebe nicht nur ein privates Bekenntnis, sondern zugleich und ganz ernsthaft auch eines zu einer gerechteren, mitfühlenderen, freieren Welt. Ob man will oder nicht.
Zu diesen Künstlern, von denen es viel weniger gibt, als man so denkt, zählt seit mindestens einem Jahrzehnt die kanadische Indiepop-Band Arcade Fire. Neue Songs und Alben der Band, die sich eher als hippieeskes Kollektiv begreift, sind entsprechend nicht einfach nur musikalische Versprechen. Und ihre Auftritte natürlich viel mehr als Konzerte, es sind mittlerweile zwar ziemlich große, aber äußerst freundliche Andachten einer Gemeinde. Herzerwärmend. Ob man will oder nicht. Man sehe sich nur den Auftritt vom Primavera-Festival in Barcelona im Juni noch einmal bei Youtube an.
Arcade Fire sind wachsame Grübler, die ihre Beobachtungen zu Hymnen verpacken
Die Musiker um den Kopf und Lead-Sänger Win Butler, die mit "Everything Now" (Columbia) nun ihr fünftes Studioalbum veröffentlichen, sind keine albernen Ego-Shooter wie U2, die ohne Gnade mit schwerstem Pathosgeschütz operieren wie evangelikale amerikanische Super-Church-Prediger. Arcade Fire sind eher wachsame Grübler, die ihre Beobachtungen zu Hymnen verpacken, um sie besser teilen zu können. Hymnen allerdings, die nicht die üblichen, selbstgerechten sind.
Das Besondere an Arcade-Fire-Hymnen ist vielmehr, dass sie sich der überall lauernden Vergeblichkeit und Verkommenheit der Zeit weder ergeben wollen, noch dass sie so tun, als könnten sie sie einfach mal so handstreichartig überwinden mit einer hinreißenden Melodie oder einem grandiosen Refrain. Diese Kunst ist viel zu selten. Vielleicht auch deshalb, weil sie so leicht und dann auch noch doppelt missverstanden werden kann. Nämlich sowohl dann, wenn man ihre Subtilität nicht bemerkt, als auch dann, wenn man sie bemerkt. Im ersten Fall ärgert man sich über die Süßlichkeit, im zweiten über die Unentschiedenheit.
Aber in den besten Fällen lag und liegt der Zauber dieser Musik natürlich genau dazwischen. Einen besseren Albumtitel als den neuen, "Everything Now", kann man sich deshalb kaum vorstellen, alles gleichzeitig.
Der böse Vorwurf, die Band sei in ihrer Konsum- und Gegenwartskritik bloß die freundliche Fratze der Totalität, gegen die sie aufzubegehren vorgebe, ist deshalb überhaupt nicht falsch, und doch völlig daneben. Die Funktionalität und Berechnung, die immer wieder unüberhörbar durchschimmern - in einem unverschämt direkten Abba-Zitat wie im Song "Everything Now", einem billigen Computer-Beat wie in "Creature Comfort" oder Siebziger-Disco-Fanfaren wie in "Signs Of Life" - sind vielmehr gerade der Clou.
Heißt das aber auch, dass das neue Album so unmittelbar unwiderstehliche Songs enthält wie zuvor "Wake up", "We Used To Wait" oder "The Suburbs"? Eher nicht. Je länger man jedoch neue Songs wie "Peter Pan" oder "Good God Damn" hört, desto unwiderstehlicher werden sie.