Neuer Hollywood-Trend: Verfilmte Biografien!:Das Biopic ist schick

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Eigentlich der klassische Stoff für TV-Movies - nun aber mit Ray Charles, Howard Hughes, Dr. Kinsey auch im großen Kino. Doch es bleibt ein prekäres Genre. Vor allem, wenn es um ein vermeintliches Genie im Showbusiness geht.

FRITZ GÖTTLER

Am Anfang war der Blues, eine Urszene so schlicht und ergreifend, wie sie nur im Herzen des amerikanischen Showbusiness denkbar ist, in L. A. oder Hollywood. Zwei Männer nebeneinander am Klavier, der eine, 72 Jahre, hat eine beispiellose Karriere als Sänger hinter sich, der andere, etwa halb so alt, ist offensichtlich im Begriff ein Kino-Weltstar zu werden. Wir spielten Piano im Tandem, erinnert sich der junge, we played the blues together. If you can play the blues, so der alte, then you can play the part.

(Foto: N/A)

Der Part, um den es da ging, war eine der großen Rollen, die Hollywood in den letzten Jahren zu vergeben hatte -- Ray Charles, in Taylor Hackfords großer Filmbiografie "Ray", die im Januar bei uns starten wird. Jamie Foxx, der sich den Part schnappte, hat eben als Taxifahrer in "Collateral" geglänzt, an der Seite von Tom Cruise. Sein Ray, so wird seit Wochen spekuliert, könnte ihm nun den Oscar einbringen. Den Segen von Ray Charles hatte er, siehe oben, kurz vor Drehbeginn erhalten, 2002, beim Besuch in dessen Studio am Washington Boulevard, und der blinde alte Sänger hat creative control gewahrt, hat den fertigen Film kurz vor seinem Tod diesen Sommer "gesehen" und abgenommen.

Viele Jahre hat Taylor Hackford gebraucht, um seine Ray-Charles-Geschichte unterzubringen, nun da sie endlich auf die Leinwand kommt, wird sie von einem ganzen Pulk weiterer Kino-Biografien begleitet. Das Genre gilt als klassischer TV-Bereich, da werden, meistens als Mehrteiler, die mehr oder weniger bedeutenden Ereignisse eines Lebens addiert, bis sie am Ende irgendwie eine Summe ergeben. Die Leinwand-Bio funktioniert dagegen wie eine Multiplikation, wie eine Potenzierung gar -- einzelne Lebensmomente, so intensiv gesteigert, dass sie Löcher in die Leinwand reißen.

Das biopic ist ein so prekäres wie mächtiges Genre -- unvergessen aus vergangenen Jahrzehnten zum Beispiel Kirk Douglas als van Gogh, Helmut Berger als Ludwig II., Anthony Hopkins als Nixon in den Filmen von Minnelli, Visconti, Oliver Stone. Der hat eben seine Vision des antiken Alexander ins Kino gebracht, davor zwei bewunderten politischen Führern dokumentarischen Tribut gezollt, Fidel Castro und Arafat. Bei Stone wird die Spannung, die Komplexität des Genres evident -- es lebt davon, dass im besten Fall mehrere Obsessionen sich überlagern, die des Dargestellten auf der einen und die des Darstellenden, des Filmemachers/Stars auf der andern Seite. Es geht um Genie und Wahnsinn, und darum, wie beide zusammengehören.

Es ist das Genie des Showbusiness, das das amerikanische Kino in diesem Biopix-Jahr vor allem beschwört. In Cannes hatte es Kevin Kline als Cole Porter gegeben in "De-Lovely" von Irwin Winkler -- noch ein Mann am Piano --, dazu Geoffrey Rush in "The Life and Death of Peter Sellers" von Stephen Hopkins. Kevin Spacey hat im Studio Babelsberg seinen großen Traum realisiert und den einst gefeierten, heute vergessenen Sänger Bobby Darin gespielt, in "Beyond the Sea", von ihm selbst inszeniert. Der Film ist an diesem Wochenende in den USA gestartet, parallel zum "Aviator" -- Leonardo Di Caprio als Howard Hughes, in dem neuen Film von Scorsese -- auch dies ein Oscar-Anwärter. Der Film ist eine großartige Zeitreise, die ganze Grandeur und der ganze Schrecken, zu denen nur das Kino fähig ist.

Es ist die dunkle Seite des Genies, die das biopic feiert, und besonders heftig in diesem Jahr. Kein Genre ist so destruktiv, so dekonstruktiv -- durch die Beharrlichkeit, mit der es seine Helden, den Heldenbegriff generell auseinandernimmt. Der blinde, von seinem juckenden Körper gequälte Ray Charles wird mit dem Rassismus der Sechziger konfrontiert, mit Heroinsucht, diversen Frauengeschichten, einem Schuldbewusstsein, am Tod des Bruders mitschuldig zu sein. Der exzentrische Mr. Hughes -- Milliardär, Flugzeugbauer, Filmemacher, schwerhörig und Hollywoods schönsten Frauen hinterher -- ist der amerikanische Ikarus, und gefällt sich immer mehr in dieser Rolle. Das dramaturgische Modell von Aufstieg und Sturz hat im 20. Jahrhundert durchs Kino seinen besonderen Drive gekriegt -- der Aufstieg ist bereits ein Teil des Absturzes, des Sturzflugs. Die Helden dieses Jahres präsentieren sich als die Enkel des Citizen Kane, und nicht zufällig ist der gleichnamige Film von Orson Welles der Urfilm des amerikanischen Kinos geworden, ein biopic par excellence. Dabei hat Welles nur exemplarisch verdichtet, was dem Kino eingeboren ist, ein völlig neuer Umgang mit dem europäischen Konzept der Identität und mit den Begriffen der Konsequenz, der Moral, der Verantwortung, die sich damit verbinden. In seinem Film "Confidential Report" hat Welles das viele Jahre später zynisch auf den Punkt gebracht. Unmöglich, sagt in diesem Film der mysteriöse globale Gangster-Unternehmer Mr. Arkadin, verkörpert von Welles persönlich, "zu realisieren, was es bedeutet, ein Gewissen zu haben . . . und überhaupt keine Erinnerung . . . Sich für etwas zu schämen, an das man sich nicht mal erinnern kann."

Die Dialektik von Erinnern und Vergessen, von Bewusstsein und dunklem Trieb, von höchster Lust und extremem Schmerz ist der Stoff der Bio-Filme -- ein alles verschlingender Drive, der den Urgrund ihrer Destruktivität bildet. Alkohol, Zigaretten, Sex . . . "Es gab eine Menge oraler Befriedigung damals", erklärt Kevin Kline, der das Liedergenie Cole Porter spielt, als schwule Nachtfigur, die seine Existenz im Zigarettennebel verschleiert, "wie Picasso, Mozart, Modigliani, Pollock hatte Porter einen gewaltigen Appetit aufs Leben." Mit einem Modigliani-Movie hat sich in diesem Jahr übrigens der Schauspieler Andy Garcia einen Lebenstraum verwirklicht.

Zum biopic gehört der Fanatismus der Akteure, der großen Stars, diese Rollen sind die wahren Herausforderungen eines Schauspielerlebens. Peter Sellers in tausend Verwandlungen, in seiner persönlichen Exzentrizität, als Inspektor Clouseau oder als Dr. Seltsam, das bedeutet natürlich eine verwandlerische Qual ohne Ende, eine permanente Make-Up-Tortur, und am Ende hat man eine kaleidoskopische Unbegreiflichkeit auf der Leinwand und dazu ein paar merkwürdige Verkörperungen -- die Sellers-Regisseure Blake Edwards und Stanley Kubrick zum Beispiel, gespielt von Stanley Tucci und John Lithgow. Leonardo Di Caprio wollte unbedingt Howard Hughes spielen, aber auch viele andere Hollywoodianer sprachen bei der Witwe vor, die selbst an einem Bio-Script sitzen soll. Nicolas Cage, heißt es, habe Flugstunden genommen und JohnTravolta -- selbst bereits begeisterter Flieger -- eine der alten Maschinen von Hughes erworben. Seit Jahren hatten verschiedene Filmautoren versucht, der Geschichte des Bobby Darin filmische Façon zu geben, darunter James Toback und Paul Schrader -- zwei Spezialisten, wenn es darum geht, perverse Abgründe unter der Oberfläche amerikanischer Naivität auszuloten. Er hat sich unaufhörlich neu erfunden, schwärmt Kevin Spacey von Bobby Darin, hat Rock und Pop gemacht, Folk und Protestsongs . . . Spacey hat lang um die Finanzierung seines Films und um neues Interesse für Bobby Darin kämpfen müssen, der von den Ratpack-Stars um Sinatra immer verdrängt wurde. Spacey hat seine eigenen Sing- und Tanzkünste reaktiviert, hat für den Film die alten Songs aufgenommen im Abbey-Road-Studio. Wenn Sie den Film sehen, sagt er lapidar, werden Sie wissen, warum ich ihn machen wollte . . .

Die fremde Persönlichkeit in ihrer Singularität, in ihrer Unvergleichlichkeit, das ist natürlich die ultimative Herausforderung für einen Darsteller -- in den Dreißigern hatte der Warner-Star Paul Muni sich darauf spezialisiert, spielte Pasteur, Zola, Juarez, aber auch Al Capone, in der Howard-Hughes-Produktion "Scarface". Biografien sind die persönlichsten Projekte in Hollywood, Meisterstücke der Kontemplation, die immer in der Kapitulation enden vor dem unergründlichen anderen Ich. In keinem anderen Genre ist die Dialektik von Nähe und Distanz, von Innen und Außen stärker. Auch die deutsche Filmproduktion hat diesmal ihren Beitrag geliefert, "Der Untergang" von Oliver Hirschbiegel, der vom Ende des "Dritten Reichs" erzählt und sich dabei auf die Darstellung des Hitler durch Bruno Ganz konzentriert -- eben diese Darstellbarkeit war es denn auch, die im Zusammenhang mit diesem Film diskutiert wurde. Darf man Interesse wecken am Innenleben des Adolf Hitler, darf man etwas wie Sympathie spüren für dieses Monster der Geschichte?

Als Leinwandmonster wird gerade Dr. Alfred Kinsey in der amerikanischen Öffentlichkeit verfolgt, der legendäre Sexforscher, den Richard Condon für die Leinwand reaktiviert hat -- Liam Neeson, der einst der edle Oskar Schindler war, verkörpert ihn als naiven Menschenfreund, der sich den Gallwespen ebenso intensiv widmet wie den sexuellen Gepflogenheiten des amerikanischen Mannes und der amerikanischen Frau. Der einfache Fragen stellt und der Quantifizierung der Wirklichkeit voll vertraut. Vereinigungen wie Catholic Outreach und Focus on Family haben den Film voll verdammt, als er kurz nach dem Wahlsieg von George W. Bush anlief, und Kinsey erneut für den Sittenverfall in den USA verantwortlich gemacht. Mit seiner Sympathie für die dunklen Seiten, mit seinem Bekenntnis zu den Kräften der Dekonstruktion führt das HollywoodKino alle Versuche der Nation, sich dieses Jahr auf eine politische Leitfigur einzuschwören, ad absurdum.

Ein Film für Mutter

Mit Dr. Kinsey und dem Aviator Howard Hughes stellt das Hollywood-Kino zwei der bizarrsten Figuren des Kriegs- und Nachkriegsamerika zur Schau, in einer spektakulären Mischung aus Exhibitionismus und Rehabilitierung. Wenn er zum Finale antritt vor dem Ausschuss des korrupten Senators Owen Brewster, kommt der verfemte, degenerierte Hughes plötzlich so energisch daher wie Indy Jones -- zur Begeisterung aller Zuschauer. Da ist ganz klar, das Genre wird weiterhin starke Stücke produzieren -- Anfang nächsten Jahres startet bei uns, als einziges weibliches Exemplar, "Sylvia" von Christine Jeffs, mit Gwyneth Paltrow als Sylvia Plath; Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon sind angekündigt als Johnny und June Carter, Philip Seymour Hofman als Truman Capote, Russell Crowe als James Braddock, einer der Boxer der Depressionszeit.

Das ist der Film, hat Kevin Spacey zu "Beyond the Sea" erklärt, den meine Mutter sich mehr als jeden anderen, den ich gemacht habe, von mir wünschte . . . Ein Film für die Mütter, das wäre am Ende eine schöne Definition fürs Genre überhaupt.

© SZ vom 20.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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