Neuenfels zur Absage seiner Oper:"Keine Parallele zum Karikaturenstreit"

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Er verletze mit seiner Inszenierung keine religiösen Gefühle, sagt "Idomeneo"-Regisseur Hans Neuenfels. Trotzdem wurde das Stück von der Deutschen Oper Berlin abgesetzt.

Christine Dössel

Das hat es im deutschen Kulturleben noch nicht gegeben: Wegen der möglichen Gefahr islamistischer Anschläge hat Kirsten Harms, die Intendantin der Deutschen Oper Berlin, die Inszenierung der Mozart-Oper "Idomeneo" vom Spielplan genommen, die sich neben den anderen großen Weltreligionen auch mit dem Islam auseinander setzt.

"Es wird in dieser Aufführung niemand verhohnepiepelt, bepisst oder auf niedrigstem Niveau demaskiert", sagt Hans Neuenfels. (Foto: Foto: ddp)

Hintergrund ist eine Gefährdungsanalyse des Landeskriminalamts Berlin, die im Kontext des Streits um die dänischen Mohammed-Karikaturen erstellt wurde. Darin heißt es, dass "Störungen der Aufführungen nicht ausgeschlossen werden können". Es liege jedoch keine konkrete Terrordrohung vor. Hans Neuenfels' Berliner Inszenierung des "Idomeneo" hatte im Mai 2003 Premiere und war seit zwei Spielzeiten nicht mehr zu sehen. Die Oper sollte Anfang November wiederaufgenommen werden. Gegenüber der SZ begründet Hans Neuenfels, warum er die Absetzung für verfehlt hält.

SZ: Herr Neuenfels, was sagen Sie zur Absetzung Ihres "Idomeneo" aus Angst vor islamistischem Terror?

Hans Neuenfels: Frau Harms hat mich darüber informiert, als ich gerade beim Rasenmähen in meinem Haus in Österreich war. Ich habe sofort ein Fax geschickt und gesagt: Das geht so nicht. Wo kommen wir denn da hin? Wenn Frau Harms den Eindruck hat, dass tatsächlich eine begründete Gefahr besteht, dann muss sie an die Öffentlichkeit gehen und das zum Thema machen: indem man das Stück nun erst recht zeigt und zur Diskussion stellt und nicht einfach klein beigibt. Doch sie hatte die Wiederaufnahme bereits abgesetzt.

SZ: Ohne Rücksprache mit Ihnen?

Neuenfels: Das muss Sie als Leiterin des Hauses nicht tun. Ich habe mit der Generalprobe, wie jeder Regisseur, die Rechte an der Inszenierung an das Haus abgegeben. Da kann man als Regisseur nichts machen. Ich habe aber das Recht eines Bürgers, diese Entscheidung zu hinterfragen und dagegen zu protestieren. Die Oper wurde seit 2003 nicht mehr gespielt, jetzt wird sie plötzlich aufgrund irgendwelcher diffuser Drohungen aus dem Programm genommen - statt sie offensiv zur Diskussion zu stellen. Da könnte künftig ja jeder mit Drohungen kommen, dem eine künstlerische Deutung, eine Sichtweise oder, sagen wir mal, der Schluss von "Nathan der Weise" missfällt.

SZ: Was werfen Sie Frau Harms vor?

Neuenfels: Es geht gar nicht darum, dass ich ihre Befürchtungen nicht ernst nehme, es geht darum, wie diese Befürchtungen geglättet werden sollen. Ich glaube, sie hat die Dimension ihrer Entscheidung verkannt. Die Deutsche Oper Berlin ist eines der größten Häuser in Deutschland. Wir sind hier nicht in Pimmelsdorf. Die Absetzung des "Idomeneo" aus purer Angst heraus gewinnt unter diesen Umständen eine weit reichende Bedeutung. Es geht hier nicht zuletzt um die Verteidigung unseres abendländischen Kulturverständnisses.

SZ: In Ihrer Inszenierung bringt Idomeneo am Schluss die abgeschlagenen Häupter von Poseidon, Buddha, Jesus und Mohammed auf die Bühne. Es ist vor allem diese Szene, die als bedenklich gilt.

Neuenfels: Es sind vier Köpfe, das ist ganz wichtig - der von Mohammed ist nur einer davon. Es sind die Häupter von großen, weltberühmten Religionsstiftern, darunter auch Poseidon, dem Gott der Griechen, der von Idomeneo den Opfertod seines Sohnes verlangt. Es geht um die subjektive Sicht des Idomeneo, der am Ende den Fanatismus keiner Religion mehr mitmacht und sich aus allen Bindungen löst. Mit einer tiefen, intensiven Erschütterung von dramatischer Kraft hat sich dieser Idomeneo von seiner Religion, von seiner Weltanschauung getrennt und zu seiner ureigenen Substanz gefunden. Die Inszenierung richtet sich weder gegen den Islam noch gegen eine andere Religion, sondern ist ein Diskurs über Religionsstiftung.

SZ: Schon bei der Premiere hat es wegen dieser Szene Proteste gegeben.

Neuenfels: Die Szene dauert gerade mal anderthalb Minuten. Es gab, wie erwartet, einen kurzen Aufschrei, aber das verlief sich schnell in einen regulären Beifall. Die Dimension der Leidenschaft, mit der diese vier Köpfe fielen, wurde vom Publikum durchaus erkannt.

SZ: Haben Sie wegen dieser Oper irgendwann Anfeindungen von islamischer Seite erlebt?

Neuenfels: : Nein, warum denn? Es liegt kein Anlass vor. Eine Operninszenierung ist auch zu intim und intern. Wen soll das denn um Gottes Willen bekümmern? Das hat mich eh so skeptisch gemacht: Wieso gerade jetzt irgendwelche amorphen Drohungen? Die Premiere war 2003, die Kritiken lagen vor, wer weiß denn, dass das gerade wieder aufgenommen wird? Dahinter kann sich im Grunde jeder verbergen.

SZ: Immerhin hat sich seit 2003 die politische Lage verändert. Glauben Sie, dass vor dem Hintergrund des Karikaturenstreits diese Szene anders gesehen wird?

Neuenfels: Man wird sie anders sehen, natürlich. Jede Inszenierung wird in ihrer Zeit betrachtet. Man kann darüber streiten, wie ich das interpretiere, okay. Aber es wird in dieser Aufführung niemand verhohnepiepelt, bepisst oder auf niedrigstem Niveau demaskiert. Es gibt hier überhaupt keine Parallele zum Karikaturenstreit. Ich zeige realistische Köpfe von Poseidon, Buddha, Jesus und Mohammed. Das hat nichts Grimassierendes, nichts Denunzierendes. Erschüttert und bewegt setzt Idomeneo diese Häupter unter der göttlichen Musik von Mozart auf vier Stühle. Weiter passiert nichts mit ihnen.

SZ: Würden Sie das heute angesichts der aktuellen Lage anders inszenieren?

Neuenfels: Nein, aber nicht aus Trotz, sondern weil ich finde, dass die Beweggründe, Hauptursachen und Nebengeräusche klar herausgearbeitet sind. Die Inszenierung ist heute so gültig wie vor drei Jahren und verletzt keine religiösen Gefühle welchen Glaubens auch immer. Grundsätzlich aber würde ich heute sehr darauf achten, wie die Empfindlichkeit der Zeit zur falschen Seite neigen könnte. Damit meine ich, dass man schon aufpassen muss, dass man nicht durch Überbetonung eines Details in einen falschen Kanal gerät und damit plötzlich in eine Auseinandersetzung, die man nie haben wollte.

SZ: Gerade wegen solcher Empfindlichkeiten spricht die Deutsche Oper von einem "unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko" für das Haus und die Zuschauer. Pure Hysterie?

Neuenfels: Dazu will ich Ihnen was erzählen: Als ich 1981 an der Oper Frankfurt "Aida" inszenierte, gab es eine Bombendrohung. Sie kam von einem Verrückten, aber das kann man vorab ja nicht wissen. Die Vorstellung war für 19.30 Uhr angesetzt, die Bombe sollte um 20.04 Uhr hochgehen. Was tun? Die Aufführung absetzen? Die Leute aus Sicherheitsgründen bis 20.30 Uhr nicht ins Haus lassen? Das kam für mich nicht in Frage, und auch der damalige Kulturdezernent Hilmar Hoffmann tat, was eine Stadt in einem solchen Fall tun muss: Er ließ das ganze Haus durchsuchen, jeden Winkel, jede Toilette. Großes Aufgebot an Feuerwehr und Polizei. Und dann fingen wir um 19.30 Uhr an, wie geplant. Es gab zwar Störungen und einen Wahnsinnsskandal, aber die Aufführung fand statt. Was ich damit sagen will: Man darf in einer Demokratie die Diskursrechte nicht kampflos aufgeben!

SZ: Halten Sie die Absetzung von "Idomeneo" für vorauseilenden Gehorsam?

Neuenfels: Genau das. Wenn die Schere im Kopf schon bei diffusester Faktenlage von selbst zuschnappt, kann das ungeheure Auswirkungen haben für die Kunst. Bedenken Sie die Folgen! Das nächste Mal sagt die Intendantin vielleicht schon bei der Stückauswahl ihren Regisseuren: Das ist zu heikel, kommt nicht in Frage. Das Gleiche gilt für Verlage, Galerien, Zeitungsredaktionen.

SZ: In der Tat eine bedenkliche Stimmungslage. Macht Ihnen die Konfrontation mit dem Islam Angst?

Neuenfels: Die Menschen, die den islamischen Glauben leben, machen mir keine Angst. Mir machen viel mehr die Menschen Angst, die uns vor dem Glauben dieser Menschen Angst einjagen. Die Menschen, die so hysterisch und kurzsichtig reagieren, dass sie in vorauseilendem Gehorsam die eigenen Werte aufgeben und die Angst nur noch schüren.

SZ: Mit dem Glauben ist in diesen Zeiten nicht zu scherzen. Harald Schmidt hat gesagt, er lässt lieber die Finger von allem, was mit islamischen Glaubensthemen zu tun hat. Ist das auch für Sie eine mögliche Konsequenz?

Neuenfels: Auf keinen Fall. Harald Schmidt ist ein Millionär, ein Kapitalist, er lebt von der Massenöffentlichkeit und dem Geschmack. Ich habe einen Beruf, in dem es um Aufklärung geht und absolut auch um den Verlust. Man darf nicht alles im Düsteren versacken lassen. Es muss wieder hell werden in Deutschland, hell.

© SZ vom 27.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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