Neu im Kino: "Flags of Our Fathers":Wer von euch will berühmt werden?

Lesezeit: 4 min

Gnadenlos, kompromisslos und wütend: Clint Eastwoods Kriegsfilm "Flags of Our Fathers" erzählt von der Erschaffung amerikanischer Helden - und Verlierer.

Fritz Göttler

Eine Ungeduld ist zu spüren in diesem Film, von der ersten Minute an, eine Unruhe geht von ihm aus, die bei jedem Sehen beklemmender wird. Am Anfang sieht man einen alten Mann, der nachts, von Erinnerungen gequält, auf der Treppe seines Hauses zusammenbricht. Sein Sohn macht sich auf, der Ursache dieses Zusammenbruchs nachzuspüren, die in den Erlebnissen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs liegt, in den Kämpfen auf der Pazifikinsel Iwo Jima.

Szene aus "Flags Of Our Fathers": Amerkianische Soldaten hissen während des Pazifikkrieges die US-Fahne auf dem Mount Suribachi nach Tagen heftiger Kämpfe um die japanische Garnison Iwo Jima. Dieses Bild geht durch Amerikas Medien und wird sowohl zum Inbegriff aller Hoffnung auf die Rückkehr verloren geglaubten Söhne wie zum Propagandamittel, um den Krieg weiterhin finanzieren zu können. (Foto: Foto: ddp)

Der alte Mann ist John Bradley, er war einer der sechs Soldaten, die eine amerikanische Flagge hissen auf dem Mount Suribachi, auf dem legendären Photo von Joe Rosenthal, das innerhalb weniger Stunden zum Inbegriff amerikanischen Engagements im Krieg wurde und auf das der - vielstrapazierte - Begriff Ikone wirklich passt.

Ein Bild mit nahezu sakralem visuellem Mehrwert, das mehr beigetragen hat, so heißt es, zur Beendigung der Kämpfe im Pazifik als das Menschen- und Maschinenmaterial, das die Amerikaner dorthin schickten. Das Buch, das der Sohn dann schreibt, Jahrzehnte nach Kriegsende, lieferte die Vorlage für Clint Eastwoods großartigen neuen Film.

Es ist eine Recherche unter Zeitdruck, die der Sohn unternimmt, gedrängt vom möglichen Tod des Vaters, behindert vom Vergessenwollen, das sich ausgebreitet hat im Land. Die Unruhe dieser Recherche kontrastiert mit der Gelassenheit, die von dem Foto ausgeht.

Die sechs Soldaten packen energisch zu, aber irgendwie hat man auch den Eindruck, die amerikanische Flagge würde sich von allein in die Luft erheben, wie ein schlanker Baum, der vom Sturm niedergedrückt worden ist und sich nun wieder aufrichtet. Was eine kleine militärische Operation ist, durchaus schon mit propagandistischem Nebeneffekt - "O.K., guys", sagt Rosenthal, als er seine Kamera zückt, "who wants to be famous" -, wirkt wie ein Naturphänomen.

Die Mühelosigkeit, die das Photo suggeriert, steht in krassem Gegensatz zu dem, was sich auf der strategisch wichtigen Insel Iwo Jima abspielte im Februar 1945, in der entscheidenden Phase des Pazifikkriegs - auf dem Kriegsschauplatz Europa war die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen. Iwo Jima war japanisches Terrain, heiliger Grund. Die jungen japanischen Soldaten wurden hierher geschickt mit der Parole: Macht keine Pläne über die Zeit nach der Rückkehr ... Sie wühlten sich in die Erde ein, verbarrikadierten sich in einem Tunnel- und Höhlensystem, aus dem die Amerikaner sie mit Flammenwerfern und Handgranaten herausholten. Parallel zu "Flags" hat Clint Eastwood einen zweiten Iwo-Jima-Film gedreht, "Letters from Iwo Jima", in dem er die japanische Perspektive zeigt, mit japanischen Akteuren, in japanischer Sprache.

Von der Nacht verschluckt

Wie ein Totenreich wirkt die kleine Insel, die gerade mal ein paar Quadratkilometer groß ist. Die Soldaten stapfen durch schwarzen Sand, zwischen kahlen Felsen, von denen aus sie von den japanischen Soldaten beschossen werden. Von der einen auf die andere Sekunde ist der Kumpel, mit dem man eben noch gesprochen hat, verschwunden, von der schwarzen Nacht verschluckt.

Kurz nach der Fahnen-Episode werden der Navy-Mann John Bradley (Ryan Phillippe) und zwei Marines (Jesse Bradford, Adam Beach), die ebenfalls beim Hissen dabei waren, nach Amerika geholt, auf einen Werbe-Feldzug durchs Land geschickt, um Kriegsanleihen unters Volk zu bringen, eine letzte millionenschwere Anstrengung, um den Krieg zu beenden. Sie müssen sich den Müttern der Toten stellen - ihre drei Kameraden sind kurz nach dem Hissen gefallen - und auf dem Soldier Field in Chicago einen Pappmaché-Suribachi erklimmen, wo sie dann von einer tosenden Menge bejubelt werden.

Souverän schaltet Eastwood zwischen den verschiedenen Ebenen hin und her, zwischen dem Kriegs- und dem Heimatalbtraum, unterstützt vom Drehbuchautor Paul Haggis, der ihm bereits das Script zu "Million Dollar Baby" schrieb.

Keiner macht heute so schwarze Filme wie Eastwood und keiner knüpft, egal in welchem Genre er sich versucht, visuell so nahtlos an der Tradition des film noir an - der nie nur Stil und Stimmung war, sondern immer auch Reflex der Kriegs- und Nachkriegszeit. Der jenen Übergang anzeigte, als Amerika versuchte, zum normalen Leben zurückzufinden.

Dreckige Verlierer

Auch "Flags" ist voller pompöser Politiker und feister Wohlstandsbürger, die die Soldaten großzügig mit Wir-wissen-was-wir-euch-verdanken-Schulterklopfen bedenken und mit eilfertig gezückten Visitenkarten beschenken - aber nach dem Krieg ist von ihrer Bereitschaft, den Jungs einen Job zu verschaffen, nichts geblieben, sie lassen sich am Telefon verleugnen. Man weiß genau, was mit diesen Szenen gemeint ist, in diesen Monaten, da Amerika immer neue Kontingente junger Soldaten in den Irak schickt.

Es ist ein Film über Heldentum, hat Clint Eastwood erklärt, und über die Art und Weise, wie man sich einen Begriff macht von seinen Helden. Nehmen Sie Jessica Lynch, sagt er weiter, die im März 2003 im Irak gefangen genommen wurde und ein paar Tage später befreit werden konnte und vom Pentagon und der Presse "heroisiert" wurde, zur Heldin herausgeputzt: "Sie versuchten, eine Art Wonder Woman aus ihr zu machen, die mit dem Maschinengewehr da steht und die feindlichen Truppen niederkämpft.

So ist es natürlich überhaupt nicht gewesen, und sie kam sich irgendwie idiotisch vor. Sie kam sich wie die Jungs in unserem Film vor, weil sie wussten, die Leute, die dort auf der Insel getötet wurden, waren die wirklichen Helden." Es ist ein gnadenloser Film, kompromisslos und wütend. Clint Eastwood hat immer schon die Verlierer der amerikanischen Gesellschaft porträtiert - bereits sein Dirty Harry gehört dazu, der auf verlorenem Posten steht im Kampf gegen die Bürokratie.

Der letzte Held in "Flags" ist Ira Hayes, der sich von der Tour zurücksehnt an die Front, ein native American, der dem Alkohol verfällt. Nach dem Krieg sieht man ihn auf einem Feld arbeiten, da kommt ein Wagen, ein Mann steigt aus, lässt ihn zwischen seinen zwei Töchtern posieren, gibt ihm einen Nickel, fährt davon. Aber das ist ein anderes Bild.

FLAGS OF OUR FATHERS, USA 2006 - Regie: Clint Eastwood. Buch: William Broyles Jr., Paul Haggis. Nach dem Buch von James Bradley (mit Ron Powers). Kamera: Tom Stern. Schnitt: Joel Cox. Musik: Clint Eastwood. Mit: Ryan Phillippe, Jesse Bradford, Adam Beach, Barry Pepper, John Benjamin Hickey, John Slattery, Paul Walker, Jamie Bell, Robert Patrick. Warner, 131 Minuten.

© SZ v. 17.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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