Neu im Kino: "Die zweigeteilte Frau":Die gute Gesellschaft ist ein Bordell

Lesezeit: 4 min

Hemmungslos und hinreißend folgt jeder seinen Trieben: "Die zweigeteilte Frau" von Claude Chabrol mit Ludivine Sagnier.

Fritz Göttler

Die Illusion fährt mit der Straßenbahn auch in diesem Film. Auf einem Foto zumindest, an der Wand in der kleinen Wohnung, die der Erfolgsautor Charles Saint-Denis unterhält - Paradies steht auf dem Türschild - und in der er mit den Frauen ins Bett geht, die ihm gerade verfallen sind. Das Foto zeigt die bekannte Tram in Lissabon, und die Stadt wird ins Gespräch gebracht als ein vielstimmiger Topos für Verliebte, für ein Leben in Einfachheit und Freiheit, das auf die Regeln und Tabus der Gesellschaft keine Rücksicht mehr nehmen wird.

Gabrielle (Ludivine Sagnier) kann sich nicht entscheiden zwischen dem Schriftsteller Charles (Francois Berleand) und dem Millionär Paul. (Foto: Foto: dpa)

Wie eine Nonne

Dass durch die Straßenbahn, die sich durch die engen Straßen der Stadt fädelt, möglicherweise auch ein wenig schlüpfrige Assoziation im Spiel ist, kommt Claude Chabrol gerade recht. Auch in seinem neuen Film ist er wieder in Hochform, seine Bilder sind konturiert und dicht, dass einem manchmal schwindlig werden könnte. Und haben doch immer die wunderbare Unschuld eines "Honni soit qui mal y pense".

Ich lebe wie eine Nonne, erklärt der verliebte Charles einmal keck, und seine Miene bei diesem Satz verrät, dass er weiß, wie das Spiel geht in der guten Gesellschaft, die unentschieden schwankt zwischen dem Puritanismus und der Dekadenz und doch im Grunde nichts als ein Bordell ist. Und dass er bereit ist, dabei mitzuspielen, auf faden Abendveranstaltungen und provinziellen Signierstunden und auch in blöden Talkshows mit impertinenten jungen Gesprächspartnertrotteln. Und natürlich denkt der amouröse Charles nicht daran, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, die ihn liebt. In einer Auktion erwirbt er mal, für 2000 Euro, eine illustrierte Ausgabe von "La femme et le pantin" von Pierre Louÿs (verfilmt, unter anderem, von Josef von Sternberg und Luis Buñuel) - das ist ein bekannter Erotomane, erklärt er der jungen Gabrielle, der zurückgezogen lebte, so wie er. Er schenkt ihr das Buch und nimmt sie mit ins Paradies.

Ludivine Sagnier ist Gabrielle - sie ist, die Floskel stimmt diesmal wirklich, die Wetterfee eines kleinen TV-Senders, und in ihrem Namen, Deneige, klingt die Reinheit des Schnees an -, und François Berléand ist Charles, er war der Schlawiner mit dem Juckreiz in Chabrols vorigem Film "Geheime Staatsaffären/L'ivresse du pouvoir".

Der ekelhaft verzogene Fratz

Als Dritter stößt zu diesem Paar Benoît Magimel hinzu, zum dritten Mal bei Chabrol, der einen jungen Erben gibt, von dem alle immer nur als dem "jungen Gaudens" reden, als ob er nicht auch einen eigenen Namen, hätte, Paul, und dessen großes Handicap ist, dass er meint, immer die Rolle des ekelhaften verzogenen Fratzen spielen zu müssen.

Bei einer frühen Begegnung lässt Gabrielle ihn auf dem Trottoir stehen und braust mit ihrem Motorrad davon - nach Naomi Watts in "Eastern Promises" die zweite Blondine auf einer Maschine! Das geht so schnell, dass Paul sein kleines hingemurmeltes "Aber ich liebe dich . . ." nicht mehr bremsen kann. Das ist mein Prinzip in diesem Film, sagt Chabrol, die Szenen immer ein wenig zu früh abzuschneiden oder länger stehen zu lassen, als man erwarten würde.

Eine erstaunliche Dreierbeziehung hat er da hingekriegt, die inspiriert ist von einem fait divers von der vorletzten Jahrhundertwende - als am 25. Juni 1906 der Stararchitekt Stanford White, der den Madison Square Garden in New York geschaffen hat, auf dem Dach ebendort erschossen wurde vom jungen Millionär Harry K. Thaw, weil Stanford White ihm seine Frau verführt hatte. Richard Fleischer hat in den Fünfzigern einen turbulenten kleinen Film darüber gedreht, das "Girl in the Red Velvet Swing".

Souverän navigiert Chabrol erneut zwischen der Oper und dem bürgerlichen Melodram. Es sind Bilder der Liebe, die er präsentiert, aber hinter ihnen taucht nie eine definitive Vorstellung dieses Phänomens auf. Weil jeder so hemmungslos und hinreißend seinen eigenen Trieben folgt, geht dem Film jede moralische Verklemmung ab, die alten Gut/Böse- und Opfer/Verfolger-Muster greifen nicht.

Unerheblich, wer den Hampelmann abgibt

Als Paul nach einem wirklich miesen Auftritt am nächsten Morgen in Gabrielles Garderobe kommt, mit einem prächtigen Bouquet, nimmt sie seine Entschuldigung freundlich an, aber dann kommt ein anderer, kleinerer Strauß mit einem hingekritzelten "Komm" von Charles, und sie lässt Paul schon wieder stehen.

Ja, Gabrielle rennt in ihr Verderben, aber von Anfang an ist auch ein wenig Durchtriebenheit in ihre Unschuld gemischt - Chabrol ist auf Sagnier gekommen, nachdem er sie in der Rolle der Tinkerbell gesehen hat, in einer Hollywood-Verfilmung des "Peter Pan". Am Ende ist, auch wenn sie unterliegt, ihr Triumph vollkommen über die scheinheilige, korrupte Gesellschaft.

Das Bürgertum, bringt Chabrol seinen neuen Film auf den Punkt, definiert sich weiterhin durch die Erscheinung, durch die Repräsentation. Charles und Gabrielle aber sind für den Vollzug, für den Konsum, nichts weiter, und es ist unerheblich, wer den Hampelmann abgibt. Lust geht vor Lächerlichkeit, schließt sie womöglich immer ein. Obsession, Schizophrenie, sexuelle Initiation und Unterwerfung, wahre Liebe, das alles will am Ende nicht viel sagen.

Wenn Sie genau hinschauen, sagt Chabrol von den zahlreichen Restaurant- und Bordellszenen, die er in seinen Film gestreut hat, werden Sie merken, dass die Leute da niemals essen . . . und das ist für alle, die den Lebenskünstler und Kino-Gourmet Chabrol ein wenig kennen, ein vernichtendes Verdikt.

LA FILLE COUPÉE EN DEUX, F/D 2007 - Regie: Claude Chabrol. Buch: Cécile Maistre, Claude Chabrol. Kamera: Eduardo Serra. Musik: Matthieu Chabrol. Schnitt: Monique Fardoulis. Script: Aurore Chabrol. Mit: Ludivine Sagnier, Benoît Magimel, François Berléand, Mathilda May, Caroline Sihol, Etienne Chicot, Marie Bunel, Valéria Cavalli, Thomas Chabrol. Concorde, 115 Minuten.

Außerdem laufen an: Berlin am Meer, vonWolfgang Eißler Herr Figo und das Geheimnis der Perlenfabrik, von Juan Pablo Buscarini I Am Legend, von Francis Lawrence Spuren eines Lebens, von Lajos Koltai

© SZ vom 10.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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