Neu auf CD:Die Klassik-Kolumne

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Eine Entdeckung aus Russland, Geschlechterverwirrung im Barock, ein griechischer Schüler von Arnold Schönberg, das legendäre Quartetto Italiano - und die Antwort auf die Frage, welche Musik Christopher Kolumbus vielleicht gehört hat.

Von Wolfgang Schreiber

Zeitgemäß gäbe sich der Betrieb der klassischen Musik, würde er stärker Musik und Gender zusammenbringen. So heißt ein Lexikon von 2010, das musikalische Epochen durchstöbert, Musikerinnen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Ferner "Personen, die ihren Körper der Anatomie des Gegengeschlechts angleichen möchten". Für solche Geschlechterverwirrung ist nun aber, in voller Klangsinnlichkeit, die Barockoper zuständig. Zwei Dutzend Rezitative und Arien finden sich auf der CD Baroque Gender Stories. Diese werden bizarr erzählt, in vokaler Brillanz entfaltet vom Mezzosopran Vivica Genaux und dem Countertenor Lawrence Zazzo. Ein Triumph der Travestie: er die Prima donna, sie in Hosenrollen der Primo uomo, beide virtuos. Dominierend, in Pietro Metastasios Libretto, ertönt die Kunstfigur des Perserkönigs Siroe: Ihm haben Komponisten mit ganzen Opern gehuldigt, hier Beispiele von Georg Friedrich Händel und Tommaso Traetta, Baldassare Galuppi und dem Österreicher Georg Christoph Wagenseil. Die Lautten Compagney führt Wolfgang Katschner zu juwelenhaftem Feinschliff (deutsche harmonia mundi).

Der Entdeckung harrt eine russische Komponistin, die Dmitri Schostakowitschs Lebensdaten vorweisen kann. Zara Levina ist im Westen kaum bekannt geworden. Ihre zwei Klavierkonzerte hat die Pianistin Maria Lettberg neulich mit Erfolg (und Grammy-nominiert) eingespielt. Jetzt lässt die Künstlerin, eine Klavierausgräberin aus Passion und vor Jahren extravagant mit dem Pianogesamtwerk Alexander Skrjabins aufgefallen, Levinas Kammermusik folgen. Die Musik klingt charakteristisch, die frühe Klaviersonate leugnet nicht den nervösen Skrjabin-Tonfall, später "erzählt" Levina abgeklärter. Die Violinsonate von 1952, mit einem emotional starken Andante-Satz, spielte David Oistrach. Die zweite Klaviersonate fügt Leichtigkeit und Sarkasmus hinzu. Levinas jüdische Herkunft kommt in der spät vollendeten, schwerblütigen "Hebräischen Rhapsodie" zu guter Wirkung (Capriccio).

(Foto: N/A)

Die Ideen heute, Konzertprogramme thematisch zu "komponieren", führen zu eigenartigen Ergebnissen, so auch bei The Ear of Christopher Columbus. Das umschreibt den Versuch des französischen Huelgas Ensembles und seines Leiters Paul van Nevel, Musik vorzuführen, die der seefahrende Abenteurer Cristoforo Colombo seinerzeit gehört haben mag. Eine musikalische Entdeckungsreise - mit nahezu unbekannten, mehrstimmig weltlichen Gesängen italienischer und spanischer Komponisten des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, geordnet nach Aufenthaltsorten des Kolumbus in Genua und Venedig, in Madrid, Sevilla, Cordoba, Valladolid. Zauberhaft ist die Einfachheit der Texte zu kunstvoller Musik: Ein charmantes Liebeslied begegnet dem frechen Scherz eines Schornsteinfegers oder der düsteren Klage "Amor con fortuna" des berühmten Juan del Encina (deutsche harmonia mundi).

(Foto: N/A)

Zu den interessantesten Schülern Arnold Schönbergs im Berlin der Goldenen Zwanziger zählte der 1904 geborene Grieche Nikos Skalkottas. Als Geheimtipp geistert er durch manche Bücher und Konzertsäle. In Skalkottas' früher Musik steckt die Faszination durch Jazz und Atonalität, der hellhörige Student besuchte Konzerte, schickte aus Berlin Musikkritiken nach Athen. Die Pianistin und Musikologin Lorenda Ramou macht sich für sein Klavierwerk stark, das sie teils aus den Manuskripten spielt. In Athen komponierte Skalkottas später drei Klaviersuiten, die barocke Satzformen mit freier Atonalität verbinden. Unter dem Titel "Die Gnomen" schuf er eine Tanz-Suite, deren Charaktertypen aus eigensinniger Fantasie hervorsprudeln (BIS)

(Foto: N/A)

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts gehörte das Quartetto Italiano zu den führenden Streichquartetten, so wie das britische Amadeus Quartett. Mit den Aufnahmen beim Sender RIAS Berlin, 1951 bis 1963, konnten Paolo Borciani und Elisa Pegreffi (Violinen), Piero Farulli (Viola) und Franco Rossi (Violoncello) der Musikwelt zeigen, dass sogar Gaetano Donizetti Quartette komponiert hat, dass sie kraftvoll, feinnervig und elegant die Quartettkunst zu steigern wussten. Mit Joseph Haydn und Robert Schumann, Maurice Ravel und Dmitri Schostakowitsch gingen sie bekannte Wege, mit dem Quartett von Gian F. Malipiero gelang Überraschendes (audite).

(Foto: N/A)
© SZ vom 25.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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