Netznachrichten:Kein Anschluss

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Manager buchen "Digital Detox"-Seminare, Hotels bieten Wlan-freie Zonen: Digitale Unerreichbarkeit liegt hoch im Kurs.

Von Michael Moorstedt

Die Schwachstelle findet sich tief im System. Vor einigen Wochen entdeckte die IT-Sicherheitsfirma Skycure einen Bug in Apples iOS-Betriebssystem, der Geräte, die sich in dem betroffenen Netzwerk aufhalten, in eine Feedbackschleife aus Absturz und Neustart schickt. Für die Betroffenen gibt es keine Abhilfe - außer die korrumpierte Zone zu verlassen. Es ist ein Hack, der nicht wie üblich nach Kreditkartennummern oder anderen persönlichen Informationen trachtet, sondern danach, dem Netz selbst den Garaus zu machen.

Was für die Experten von Skycure ein "katastrophales Szenario" ist, stellt für die anderen schon längst eine veritable Utopie dar. Schließlich ist die Vernetzung der Welt beinahe abgeschlossen. Schon heute ist auch das hinterletzte Ferienhaus in den ligurischen Bergen vernetzt. Und die globalen Hightech-Firmen wie Facebook und Google arbeiten daran, die Konnektivität noch umfassender und lückenloser zu gestalten. Mittels Laser, Drohnen oder Ballons soll das Internet bald in jeden Winkel der Erde projiziert werden.

Die Gegenbewegung hat sich aber längst formiert. "Warum wir alle wieder ein bisschen unerreichbarer werden sollten", titelte das Zeit Magazin in der vergangenen Woche, und selbst hippe Publikationen wie das Vice Magazin geben Selbsthilfetipps, wie das Smartphone weniger smart einzustellen ist. Auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter sammelte das sogenannte Light Phone mehr als 400 000 Dollar ein. Das kreditkartengroße Telefon in Reinweiß ist dafür "entworfen, so selten wie nur möglich benutzt zu werden".

Für gestresste Manager werden "Digital Detox"-Seminare entworfen und mit griffigen Marketingfloskeln wie "Disconnect to reconnect" beworben, die Ausweitung der analogen Zonen schreitet voran. Cafés schreiben "Hier gibt es kein Wlan, unterhaltet euch!" in kalligrafischen Lettern auf ihre Schiefertafeln. In die Wände des Faraday Café im kanadischen Vancouver wurde gar ein metallenes Netz eingewoben, das Wlan- und 3-G-Signale blockiert. Und ein Luxushotel in Baden-Baden hat neben jedem Bett einen silbernen Schalter installiert, mit dem man das Zimmer in eine digitale Isolierzelle verwandeln kann. Etwa die Hälfte der Gäste, so der Geschäftsführer, nehme das Angebot dankend an.

Selbst auf der Ted-Konferenz, jener Zusammenkunft der Totalvernetzten, sollen in Zukunft die Smartphones und Tablets abgeschaltet bleiben. Der wahre Avantgardist lebt also wieder im Hier und Jetzt, statt im Internet, und ist nicht mit der Welt, sondern nur mit sich selbst verbunden. Bis der Hype dann wieder in die andere Richtung ausschlägt.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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