Netzkolumne:Sie wollen fühlen, was wir fühlen

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Maximale Nutzerbindung: Spotify will sein Musikangebot künftig auch automatisch auf die Umgebung des jeweiligen Nutzers abstimmen. (Foto: Kniel Synnatzschke/Imago Images)

Die Tech-Industrie arbeitet fieberhaft daran herauszufinden, was in ihren Nutzern wirklich vorgeht. Was gruselig klingt, könnte auch eine gute Seite haben.

Von Michael Moorstedt

Noch immer nicht ganz klar ist ja, ob Spotify und andere Streamingdienste die Musikindustrie nun eigentlich gerettet oder doch nur weiter ruiniert haben. Das ist unter anderem deshalb ein bisschen kniffelig, weil die Plattformen einen Rekordumsatz nach dem anderen vermelden. Von dem Geldregen kommt aber kaum was bei den Urhebern an.

In der selbstauferlegten Spotify-Leitlinie heißt es, es sei die Aufgabe, "das Potential menschlicher Kreativität zu entfesseln - und es einer Million Künstlern zu ermöglichen, von ihrer Arbeit zu leben". Von diesem Ziel ist man allerdings weit entfernt. Eigenen Angaben zufolge verdienten im vergangenen Jahr gerade mal 13 400 Musiker auf Spotify mehr als 50 000 Dollar, also ein gerade mal halbwegs solides Jahreseinkommen.

Unter dem Motto "Gerechtigkeit bei Spotify" haben deshalb Mitte März weltweit Musiker vor den Büros des Unternehmens demonstriert. Sie forderten einen Mindestanteil von einem US-Cent pro abgespieltem Stream. Für Außenstehende klingt das lächerlich wenig, momentan liegt der Künstleranteil im Schnitt allerdings bei gerade mal einem Drittel dieser Summe. Eine Reaktion des Unternehmens steht noch aus. Zuletzt ging es noch rechtlich gegen eine zuvor beschlossene schrittweise Erhöhung der Streamingvergütung für Rechteinhaber vor.

Der Konzern widmet sich lieber der Zukunft als gerechter Bezahlung. Zum Beispiel der Frage, wie durch neue Technologien mal wieder die Art und Weise, wie die Menschen Musik anhören, revolutioniert werden kann. Vor Kurzem wurde der Firma ein Patent für eine Technik erteilt, die sich um die Auswertung von Höreremotionen dreht.

Für die perfekte Songauswahl muss man sich nur ununterbrochen belauschen lassen

Konkret geht es um eine "Methode zur Auswertung von Sprachsignalen und Hintergrundgeräuschen", um "emotionalen Zustand, Geschlecht, Alter oder Akzent" zu bestimmen. Ausgehend von "Intonation, Rhythmus und Tempo" des Sprechers soll sein inneres Empfinden in Kategorien wie "glücklich, verärgert, ängstlich oder traurig" eingeteilt werden. Auch Umgebungsgeräusche sollen mit in die Bewertung einfließen. Würde das System also etwa im Hintergrund Straßenlärm und Autohupen erkennen, ließe das auf ein höheres Stressniveau beim Nutzer hindeuten, als wenn, sagen wir mal, Vogelgezwitscher zu hören ist.

Unterschieden werden soll auch nach sozialen Metadaten, also ob man alleine ist oder sich in Gesellschaft befindet. Dementsprechend ist der nächste Song dann entweder süß-melancholisch oder doch ein Partykracher. Der Soundtrack des eigenen Lebens, ausgespielt anhand der eigenen Befindlichkeit. Intimer kann es kaum noch werden. Dafür würde wohl so mancher in Kauf nehmen, dass so ein System einen permanent belauscht. Schließlich gab es schon Dystopien, die bedrohlicher klangen.

Die Tech-Firmen sind derzeit geradezu zu besessen davon herauszufinden, was wirklich in ihren Nutzern vorgeht. Es vergeht kaum ein Monat, indem nicht ein neues Gadget veröffentlicht wird, das verspricht, ganz tief in die Menschen hineinzuhorchen. Letztens brachte etwa Amazon ein Armband namens Halo auf den Markt, das die Träger über ihr eigenes Gefühlsleben aufklären soll. Wie fühlt ihr euch? Was treibt euch an? Eine Frage, die jedoch weniger mit aufrichtiger Anteilnahme zu tun hat als eher mit der Maximierung der Nutzerbindung.

Man kann sich das gleiche Prinzip sehr leicht auch für andere Inhalte vorstellen. Wie wäre es etwa, wenn auch die üblichen Social-Media-Posts anhand der Nutzeremotionen auf den Bildschirm sortiert würden: weniger QAnon und stattdessen eher Hundewelpenbilder für all diejenigen, deren Blut ohnehin schon am Kochen ist. Dafür dann mehr kontroverse Inhalte für die von Natur aus lethargischen Gemüter. Gäbe es dann weniger Streit und Ärger im Netz? Ein solches System könnte dann vielleicht auch Antwort auf eine ganz grundsätzliche Frage geben: Waren die Menschen schon immer verrückt - oder hat sie das Internet erst dazu gemacht?

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