Netzkolumne:Digitale Ultras

Lesezeit: 2 min

US-amerikanische Sender bevölkern leere Sportstadien zurzeit mit virtuellen Fans. Das funktioniert etwa so gut wie eine Zoom-Konferenz. Und Durchschnittsgesichter sind schwerer zu simulieren als makellos schöne.

Von Michael Moorstedt

Es gibt viele verschiedene Wege, auf den permanenten Ausnahmezustand zu reagieren. Es gibt jene schwindende Gruppe Menschen, die tatsächlich noch die Härten hinnehmen, die eine Pandemie nun mal mit sich bringt. Auf der anderen Seite steht der leider wohl wachsende Teil der Bevölkerung, der es fertigbringt, gleichzeitig seine Grundrechte gefährdet zu sehen und durch Maskenverweigerung die Gesundheit seiner Mitmenschen zu gefährden.

Und dann sind da noch diejenigen, die am liebsten so tun würden, als sei nichts gewesen, und die zumindest ein bisschen Normalität simulieren. Ein schönes Beispiel für letztere Fraktion sind etwa die Bundesliga-Vereine, die Pappkameraden auf den Rängen aufstellten, um die Geisterspiele vor leeren Stadien nicht gar so trostlos wirken zu lassen. So richtig viel Stimmung wollte aber trotzdem nicht aufkommen.

Entgegen dem eigenen Instinkt muss man über den Atlantik schauen, um zu sehen wie so etwas konsequent betrieben wird. In den USA hat der Fernsehsender Fox Sports gerade damit begonnen, bei Übertragungen von Spielen der Profi-Baseballliga virtuelle Fans auf den Rängen einzublenden. Sie feuern an, erzeugen Stimmung, jubeln, bewegen sich, ja, sind eben einfach da. Das ist schließlich ihre hauptsächliche Aufgabe - das Simulieren von Präsenz, von jener Masse, die dem quarantänegepeinigten Fan zu Hause auf der Couch genauso schmerzlich abgeht wie Urlaub, Büroalltag oder Trinken mit Freunden.

Der Sender benutzt dafür eine Software mit dem sinnbildlichen Namen Unreal, die normalerweise für die Entwicklung von Computerspielen oder Hollywood-Spezialeffekten gebräuchlich ist. Wie jede neue Technologie leidet die Sache jedoch noch an Kinderkrankheiten. Denn während die Effektzauberer in den Filmstudios wochen- oder gar monatelang Zeit haben, um jeden kleinsten Laserstrahl auf Hochglanz zu polieren, müssen die Fan-Avatare live und in Echtzeit auf die Geschehnisse im Stadion reagieren.

Das geht nicht immer gut. Nach einem erfolgreichen Abschlag braucht die Publikumssimulation schon mal zwei, drei Sekunden, um in Jubel auszubrechen. Es ist das Stadionäquivalent zu den Aussetzern, die jeder Beschäftigte im Home-Office erlebt, wenn die Videokonferenz-Verbindung mal wieder hängt.

Auch was Gestik und Mimik angeht, ähneln die digitalen Besucher eher einem Stehblock-Ultra nach dem zehnten Plastikbecher-Bier als begeisterten Fans aus Fleisch und Blut. Hauptsächlich ruhen sie ihr Kinn auf der Hand und den Arm wiederum auf dem Knie aus. Man wolle trotzdem weiter experimentieren, heißt es von Seiten von Fox News. Schön, wenn man sich nicht entmutigen lässt und offen für neue Ideen ist. Hier ist noch eine: Wäre es nicht sogar logisch und konsequent, auch die Spieler durch digitale Kopien zu ersetzen? In anderen Branchen, die mit ähnlich viel Star-Kult operieren wie der Profisport, ist man jedenfalls schon weiter.

So schrieb etwa das kanadische Model Sinead Bovell vergangene Woche in einem Beitrag für die Vogue von ihrer Angst, in Kürze von computergenerierten Konkurrentinnen ausgestochen zu werden. Virtuelle Models und Influencer haben sich in den letzten Jahren jedenfalls von einem Marketing-Gag zu einem veritablen Geschäftsmodell entwickelt. Die 3D-Animationen haben Millionen Follower auf sozialen Netzwerken, und ihre Macher kooperieren längst mit großen Luxusmarken wie Prada oder Givenchy.

Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet diejenigen davon bedroht sind, ersetzt zu werden, deren ursprünglicher Job es schlichtweg mal war, nichts anderes zu sein als eben ein Mensch. Noch dazu in den meisten Fällen ein ausgesprochen hübscher Mensch. Noch ironischer ist, dass die Fetischisierung von Schönheit den Verdrängungsprozess sogar noch erleichtert. Für ein entsprechendes Computerprogramm ist es nämlich sehr viel einfacher, die vermeintliche Ästhetik der Perfektion zu simulieren als ein Gesicht, das eher dem Durchschnitt entspricht. Alabasterhaut und tadellos symmetrische Züge sind für die Software ein Klacks - erst bei Falten, Narben oder Pickeln kommt sie ins Straucheln.

© SZ vom 03.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: