Netzkolumne:Angriff der Robo-Personaler

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Die Menschenkenntnis künstlicher Intelligenz wird überschätzt. Man kann sie deswegen auch überlisten.

Von Michael Moorstedt

In Zukunft werde es genau zwei Sorten von Menschen geben, sagte der Tech-Investor Marc Andreessen mal: "Menschen, die Computern sagen, was sie tun sollen und solche, die von Computern gesagt bekommen, was sie tun sollen." Diese Vorhersage ist, zwar schon eine Weile her, aber inzwischen ziemlich zutreffend.

Andreessen stellte sich eine Gesellschaft vor, in der Programmierer über die analogen Massen bestimmen würden. Was tatsächlich eintraf, ist jedoch noch ein wenig dystopischer. Die Programmierer stellen nur die Maschinen zur Verfügung, mithilfe derer mächtige Konzerne und das politische Establishment anderen Menschen sagen, was sie tun sollen.

Sehr deutlich wird diese Realität in der Frage, wie heutzutage darüber entschieden wird, wer einen Job erhält oder nicht. Laut Einschätzungen von Marktforschern werden bereits in zehn bis 15 Prozent aller Personalabteilungen weltweit sogenannte Robo-Recruitment-Programme eingesetzt. Hier trifft also nicht mehr ein Mensch die Auswahl, sondern ein Computer. Die Programme und ihre Hersteller versprechen eine weitgehend automatisierte, faire, vorurteilsfreie und vor allem günstige Bewertung der Aspiranten.

Schon häufen sich auf Twitter Beiträge von Eingeweihten, die Tipps geben, wie man die maschinellen Personalprüfer überlisten könne

Als Snake Oil, Schlangenöl, bezeichnete der IT-Professor Arvind Narayanan von der Princeton University diese Praxis zuletzt in einem Vortrag. In Anlehnung an die fahrenden Quacksalber und Wunderheiler, die im Wilden Westen zahlreiche Heiltinkturen anpriesen, die in Wahrheit entweder wirkungslos und im schlechtesten Fall für die Patienten enorm schädlich waren.

Als bestes Beispiel bringt er etwa das Unternehmen 8 and above an. Das behauptet, aus einem 30-sekündigen Videoclip mittels Analyse von Körpersprache oder Satzbaumustern über den perfekt geeigneten Kandidaten für eine Stelle entscheiden zu können. Gesunder Menschenverstand sagt, dass das nicht möglich ist, und die meisten KI-Experten stimmen damit überein, so Narayanan. Die Software sei nicht mehr als ein "elaborierter Zufallsgenerator". Trotzdem zählen die Hersteller zahlreiche globale Konzerne zu ihren Kunden und werden längst selbst mit Millionensummen bewertet.

Dank guten Marketings, einer uninformierten Politik und den üblichen überaufgeregten Medienberichten werden die Fähigkeiten von KI mittlerweile von der öffentlichen Meinung maßlos überschätzt, so Narayanan. Obwohl es zwar dramatische Fortschritte in Sachen rechnerischer Wahrnehmung gebe, etwa wenn Computer Gesichter erkennen oder auf klinischen Scans Tumore identifizieren. Ganz anders sieht es jedoch bei anderen Einsatzfeldern künstlicher Intelligenz aus. Etwa wenn bislang menschliche Entscheidungen oder die Bewertungen von zukünftigen sozialen Entwicklungen an eine Software ausgelagert werden. Vergleichende Studien haben bewiesen, dass KI-Modelle in diesen Belangen kaum besser abschneiden als ein zufällig generierter Tipp und sogar schlechter als simple statistischen Formeln.

Dank halbwegs wirksamer Datenschutzgesetze ist diese Praxis hierzulande weit weniger ausgeprägt als etwa in den USA. Doch auch in Deutschland greifen Personalabteilungen auf KI-unterstützte Software zurück. Etwa auf das Programm Precire, das durch Analyse von Sprachaufnahmen auf die Persönlichkeit des Bewerbers schließt. Laut Angaben des Herstellers kommt es etwa bei dem Versicherungskonzern Talanx oder der Zeitarbeitsfirma Ranstad zum Einsatz. Mit einer 15-minütigen Audiodatei könne man "42 Dimensionen einer Persönlichkeit messen", schwärmt etwa der Talanx-Personalchef Thomas Belker.

Schon häufen sich auf Twitter Beiträge von Eingeweihten, die Tipps geben, wie man die maschinellen Personalprüfer überlisten könne. Zum Beispiel, indem man die genaue Jobbezeichnung oder die Namen von Elite-Universitäten in transparenter Schrift irgendwo im Bewerbungsformular unterbringt. Das würde an etwaigen menschlichen Augen vorbei gehen, aber genau die simplen Ja-Nein-Logik der Maschinen befriedigen.

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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