Nachruf:William Trevor

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Er war ein Erzähler, der mehr über seine Figuren wusste, als er sagte. Jetzt ist der Autor gestorben.

Von Meike Feßmann

Er kannte die Charakterisierungskraft kleiner Gesten, etwa wenn ein Liebhaber noch rasch die Kleider auf dem Boden in Ordnung bringt, bevor er an der Badezimmertür klopft, und er konnte Details auf eine Weise zum Blühen bringen, dass er selbst für die verschlungensten Lebenspfade seiner Figuren keine zwanzig Seiten brauchte.

Der irische Schriftsteller William Trevor schrieb Romane, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher, aber seine Königsdisziplin war die Kurzgeschichte. Sein Stil war knapp, aber nicht lakonisch. Er kam zum Punkt, ohne sich im mindesten hetzen zu lassen. Im Gegenteil. Seine Geschichten strahlen eine große Ruhe aus. Sie wirken gleichermaßen offen wie abgerundet. Alles hätte auch ganz anders sein können, aber es war nun einmal so - das kann er uns jederzeit glauben machen.

Eine gute Kurzgeschichte zeichnet aus, dass der Autor mehr über seine Figuren weiß, als er auf der kurzen Strecke sagen kann und dass man dieses Mehr in jeder Zeile spürt. William Trevor, 1928 in Irland geboren, 2002 von der Queen zum Ehrenritter ernannt, hat das auf Nebenwegen gelernt. Nach einem Geschichtsstudium in Dublin war er zunächst Lehrer und Bildhauer, später Werbetexter in London. Er war 1952 nach England gezogen, weil er in Irland keine Familie ernähren konnte. Er war überzeugt davon, ein Schriftsteller müsse erst Material sammeln, bevor er weghobeln kann, was er nicht braucht. Das Material war für ihn einfach das Leben. Und das wächst für einen guten Beobachter jeden Tag nach, weit mehr, als er verwenden kann.

Gelehrsamkeit hielt er ebenso für überflüssig wie eine allzu aufwendige Konstruktion. Sein eigentliches Interesse richtete sich auf die Figuren. Und es ist ganz egal, ob es sich dabei um Junggesellen auf dem Land handelt, die keine Frau finden und ihren gewalttätigen Vätern immer ähnlicher werden, um trauernde Witwer, junge Frauen oder kleine Mädchen, um Paare, die sich trennen oder um solche, die gerade deshalb zusammenbleiben, weil jeder um seine Fehler weiß: Er erzählt immer so, dass wir uns grundsätzlich für jede seiner Figuren interessieren und erst recht für ihr Zusammenspiel.

Die Innenperspektiven lässt er gern changieren. Mal befinden wir uns im Kopf der einen, dann in dem einer anderen Person, oft wissen wir nicht, wem wir einen Gedanken zuordnen sollen. So gewährt er dem Leser zwar manchmal einen kleinen Wissensvorsprung und lässt ihn Konflikte früher erkennen als die handelnden Figuren. Aber er legt sie so an, dass sie nicht durch einfache Lösungen aus der Welt zu schaffen sind. Seine Geschichten, die auf Deutsch in mehreren Sammelbänden erschienen sind, zuletzt bei Hoffmann und Campe, enden niemals erwartungsgemäß. Man bleibt gespannt, in einer latenten Alarmbereitschaft, als könnte jederzeit ein neues Detail auftauchen, das alles verändert. Oft gönnt er dem Leser am Ende ein Schlussbild, das in eine offene Zukunft weist und Raum zum Nachsinnen lässt.

Obwohl sich seine Sprache nicht in den Vordergrund drängt, verlangt er ihr einiges ab: den ebenso schnellen wie unauffälligen Perspektivwechsel, das Zusammenschnurren der Zeiten, die Darstellung zwischenmenschlicher Komplikationen, die sich auf engstem Raum drängen, und einen sehr speziellen Umgang mit Emotionen. William Trevor spricht sie gerne deutlich aus. Er spricht von Mut und Mitgefühl, von Trauer, Wut, Ärger, von Demut und Scham. Aber er liebt es, sie ungewöhnlich einzusetzen. Was andere Leute Feigheit nennen würden, etwa, wenn ein irischer Junge vom Land von der IRA angeworben wird, um in London eine Bombe zu zünden und die Tasche im letzten Augenblick in die Themse wirft, das nennt er Mut. Und er weiß, dass es meist die beiläufigen Geschehnisse sind, die unsere Handlungen beeinflussen: ein Zeitungsartikel beim Frühstück, ein Hund auf dem Weg, der Ärger über eine Bemerkung, der halbe Satz, der in einer Kneipe vom Nachbartisch herüberweht.

Einsame Menschen, die sich nach Gesellschaft sehnen, kurze Zeit Hoffnung schöpfen und wieder in die Einsamkeit zurücksinken, gehören ebenso zu seinem Spezialgebiet wie die Beschreibung von Ehen in allen Phasen, von der Leidenschaft am Anfang, den Freuden und Zwängen des Familienlebens, bis hin zu den mittleren und späteren Jahren, wenn "alle Schlachten geschlagen" sind. Die Ehe sei "das kniffligste aller Unterfangen", schrieb er einmal. William Trevors eigene Ehe hat bis zu seinem Tod gehalten. Er starb am 20. November mit 88 Jahren. Er war der seltene Fall eines Schriftstellers, der die Kunst der Aussparung mit dem Geist des Epischen vermählte: Er war ein moderner Erzähler, der Rat wusste.

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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