Nachruf:Wilde Kerle

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Er schrieb Kinderopern und dirigierte große Orchester: Der Tod des Komponisten Oliver Knussen ist ein Verlust für Englands Musikleben.

Von Wolfgang Schreiber

Zu den liebenswerten Eigenheiten der modernen klassischen Musik Englands gehört, dass dort die Tradition und die Vergangenheit, anders als bei der intellektuellen Avantgarde Westeuropas, immer im Einsatz waren und sind, nach der Devise: Beharrungsvermögen ist so klug und wichtig wie Innovation. Das galt auch für den Komponisten und Dirigenten Oliver Knussen, für dessen Betätigungs- und Schaffensdrang Fantasie und Ausdrucksvielfalt die treibenden Kräfte waren.

Nicht von ungefähr hatte auch für Oliver Knussen, wie überhaupt für das britische Musikleben der zweiten Jahrhunderthälfte, die nobel dominierende Figur des Komponisten Benjamin Britten, der von 1913 bis 1976 lebte, eine so inspirierende wie animierende Wirkung. Knussen, 1952 in Glasgow geboren und früh in London heimisch geworden, wo der Vater den Kontrabass beim London Symphony Orchestra spielte, erfuhr schon als vielversprechend komponierender Knabe entscheidende Förderung durch eben Benjamin Britten, der für ihn zu einer Art musikalischer Lebensgestalt wurde. Kein Wunder, dass Knussen lange Jahre die künstlerische Leitung beim illustren Britten-Festival von Aldeburgh in Suffolk innehatte. Und er war der Animateur junger Talente: Beim Tanglewood Music Center, der Sommerakademie des Boston Symphony Orchestra, leitete er einige Jahre den Sektor der neuen Musik.

Oliver Knussens heftiges Gestaltungstalent glänzte auch am Dirigentenpult großer Orchester, die ihn vielfach einluden, so in Chicago, New York oder Boston, und doch komponierte er selber beileibe nicht die oft geschmähte "Kapellmeistermusik". Vielmehr schuf er, neben Vokal- und Kammermusik sowie Symphonien, von denen die dritte Symphonie im Jahr 1975 vom damals 20-jährigen Simon Rattle dirigiert wurde, zwei brillante Kinderopern, für die eine lange Lebensdauer garantiert scheint: "Higglety Pigglety Pop!" und vor allem "Where the Wild Things Are" ("Wo die wilden Kerle wohnen"), auf den Text von Maurice Sendak. Die "wilden Kerle" werden weltweit geliebt.

Recht spät erst gelangte Olivier Knussen zu akademischen Ehren: Im Jahr 2014 wurde der Künstler und Organisator, bereits Commander of the Order of the British Empire, zum Professor an der Londoner Royal Academy of Music ernannt. Nun hat Englands Musikleben einen Verlust erlitten: Der Freund und Mentor vieler junger Musiker, die seinen zu frühen Tod beklagen, ist im Alter von 66 Jahren an seinem Wohnort Snape bei Aldeburgh gestorben.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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