Nachruf:Weit über Manhattan

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Protagonistin der Postmoderne - Zum Tod der amerikanischen Tänzerin und Choreografin Trisha Brown.

Von Eva-Elisabeth Fischer

Das Letzte, was man von der Tänzerin Trisha Brown vor mehr als zehn Jahren auf der Bühne zu sehen bekam, war ihr nackter Rücken. Getragen von einer immer noch sehr aufrechten Wirbelsäule, ließ sie die nach wie vor durchtrainierten Muskeln tanzen unter der elastischen Haut. Bei ihrem letzten Solo bewegte sich die damals siebzigjährige, hochgewachsene, starke und doch schlaksige Frau langsam in Richtung Hinterbühne. Ein Abschied.

Bahnbrechend waren ihre frühen Choreografien, entstanden nach der Gründung ihrer eigenen, zunächst rein weiblichen Kompanie im Jahr 1970. Sie ließen nicht nur die Guckkastenbühne zugunsten der Häuserdächer und Straßenschluchten Manhattans hinter sich, sondern zogen in Galerien auch das Kunstpublikum an. Ihren internationalen Durchbruch jedoch erlebte Trisha Brown erst 1980 beim Next Wave Festival in der Brooklyn Academy of Music mit einem Stück, dessen Titel wie üblich Programm war, einer Zusammenarbeit mit ihrem Lebensfreund Robert Rauschenberg und der Musikerin Laurie Anderson: "Set and Reset".

37 Jahre später: Unvergesslich die Performance bei der Documenta 12, als ihre Tänzerinnen und Tänzer buchstäblich in den Seilen hingen oder sich zwischen diesen durchhangelten an einem mit bunten Kleidungsstücken behängten Stahlpodest. "Floor of the Forest" beherrschte den Raum, an dessen Wänden Trisha Browns Zeichnungen hingen. Denn wie ihre Kollegin Simone Forti von der Westküste Amerikas machte sie keinen Unterschied zwischen den gezeichneten Linien auf Papier und den getanzten im Raum.

Letztere konnte man am besten verfolgen, als ihre neunköpfige Kompanie mit einem Programm ihrer "Early Works" unter anderem in Berlin im Hamburger Bahnhof und im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses gastierte. Spätestens durch ihre lebendige Musealisierung behaupteten sich diese teils nur sekundenkurzen Tänze, effektvoll ausgeleuchtet, als Kunstwerke in Bewegung, als mobile Skulpturen und veränderten auf diese Weise die Sicht des Zuschauers auf den tanzenden menschlichen Körper und den Tanz. Und amüsierten. Denn anders als der gläsern-kalte Minimalismus ihrer Antipodin Lucinda Childs sind Trisha Browns Choreografien ziemlich lustig und sehr, sehr lässig.

Als Protagonistin des Judson Church Movements Mitte der Sechzigerjahre in New York, wohin die 1936 in Aberdeen im Bundesstaat Washington Geborene im Jahr 1961 nach ihrem Abschluss in der Tanzabteilung des Mills College gezogen war, hatte sie sich rigoros von den Säulenheiligen des amerikanischen Modern Dance abgegrenzt. Weg mit Martha Grahams tiefenpsychologisch gründelndem Expressionismus! Weg mit Merce Cunninghams Akademismus!

Was sie tat, nannte man wie auch den Tanz etlicher anderer Zeitgenossen Post Modern Dance. "Postmodern" meint hier allerdings, anders als hierzulande, nicht geschickt montierten, zitatenreichen Eklektizismus. Postmodern bezeichnet schlicht das, was zeitlich auf die Moderne folgte. Das war eine Zeit der Freiheit vor Reagan und Aids, die sie in den Workshops bei Anna Halprin genutzt hatte.

Die komplexen mathematischen Strukturen übernahm sie von den Minimalisten, etwa von den Komponisten Steve Reich und Philip Glass. Auch wenn ihre Tänze auf Alltagsbewegungen basierten, so erlangten sie durch diese Struktur und die komplizierte Schichtung von Bewegungen selbst eine atemberaubende Virtuosität. Diese Technik, Accumulation genannt, vollführten ihre Tänzerinnen und Tänzer in Reihen und Linien, den wesentlichen Elementen ihrer Choreografien, die sich zu immer neuen geometrischen Formen schließen und dreidimensional den leeren Raum durchdringen. Die Kompanie lässt das Œuvre weiterleben - so ihr nicht unter dem Präsidenten Donald Trump die Mittel gestrichen werden. Trisha Brown hat nun achtzigjährig nach langer Krankheit am 18. März der Welt endgültig den Rücken gekehrt.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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