Nachruf:Phlegmatischer Clown

Lesezeit: 2 min

Goncourt-Preisträger in der Robe der Académie française: François Weyergans. (Foto: AFP)

François Weyergans, Jahrgang 1941, war in der französischen Gegenwartsliteratur ein Clown, der mit ernster Miene über seine eigenen Späße stolperte. 2005 gewann er den Prix Goncourt. Am Montag ist er im Alter von 77 Jahren in Paris gestorben.

Von JOSEPH HANIMANN

Man fragte sich bei ihm immer, ob er absichtlich so penetrant neben seiner Rolle als Schriftsteller stand. François Weyergans war in der französischen Gegenwartsliteratur ein Clown, der mit ernster Miene über seine eigenen Späße stolperte. Mit "Le pitre" (Der Hanswurst), dem ulkigen Bericht einer Psychoanalyse bei Jacques Lacan, legte der 1941 geborene Sohn des belgischen Schriftstellers Franz Weyergans 1973 sein erstes Buch vor. Gut ein Dutzend sollten ihm folgen. Ein Vielschreiber war dieser Autor nicht. Oft spielen seine Texte auf verschlungenen Wegen mit dem eigenen Selbst. Sexuelle Abenteuer und Liebesromanzen sind ein wiederkehrendes Thema. In "Berlin, mercredi" (Berlin, mittwochs) irrt ein Mann auf der Suche nach echter Liebe von Stadt zu Stadt. "La démence du boxeur" (Der Wahnsinn des Boxers) zeigt einen Mann, der im Lebensrückblick die Schläge eher gegen sich selber austeilt. In den Roman "Franz und François" (1997) hat Weyergans auf zwielichtige Weise auch seinen Vater mit einbezogen.

Eigentlich hätte Weyergans Filmautor werden wollen. Er versuchte sich mit ein paar Dokumentar- und Spielfilmen und schrieb ein paar Jahre lang für das Magazin "Les Cahiers du Cinéma". Seine Spezialität war das Apropos, das Abschweifen, die Kunst, erzählerisch vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Der Preis dafür war seine legendäre Schwierigkeit, seine Bücher fertig zu schreiben. Diese Schwierigkeit des Vollendens ging als Thema in seinen Roman "Drei Tage bei meiner Mutter" ein, mit dem Weyergans 2005 - gegen Michel Houellebecqs "Die Möglichkeit einer Insel" - den Prix Goncourt gewann.

Mit tausend Einfällen, Erinnerungen und Projekten zögert in jenem Roman ein Schriftsteller namens François Weyergraf den Besuch bei seiner alten Mutter hinaus. Immer neue Ideen laufen in seinem Kopf einander über den Weg und blockieren sich gegenseitig. "Wo war ich schon wieder mit meiner Chronologie?" - fragt der Erzähler sich, während die Chronologie für die Mutter durch das Hinscheiden der Bekannten allmählich zur Nekrologie übergeht. "Du machst allen Angst", tadelt ihn seine Frau und er muss ihr Recht geben: Im Grunde mache er sich selber Angst.

Bei der Aufnahmezeremonie in die Académie Française 2011 auf den verwaisten Stuhl Alain Robbe-Grillets irritierte Weyergans seine Akademiekollegen erst durch sein Zuspätkommen - auch das eine seiner Spezialitäten - und dann durch eine verwirrende Rede aus endlosen Zitaten und Anspielungen. Die Académie Française aber war es, die am Montagabend als erste bedauernd den Tod dieses phlegmatischen Woody Allen der Literatur bekannt gab. "Warum muss man just im Moment vor seiner Beerdigung, einem unserer seltenen Erlebnisse mit Erfolgsgarantie, sterben?" - fragte Weyergraf alias Weyergans in "Drei Tage mit meiner Mutter" und malte sich sein eigenes Begräbnis aus, "auf einem Flughafen, in einem Theater oder in einer oberbayrischen Barockkirche". Schön daran sei, dass man die Hauptrolle spielen und doch stumm bleiben darf. François Weyergans starb am Montag im Alter von 77 Jahren in Paris.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: