Nachruf:Nicht aufteilen nach Alter und Gewicht

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Er entdeckte Janosch und revolutionierte das deutsche Kinderbuch: Zum Tod des Verlegers Hans-Joachim Gelberg.

Von Roswitha Budeus-Budde

Sein Markenzeichen wurden die orangen Buchcover, die seit 1971 in jeder Buchhandlung zu entdecken waren. Die nicht nur durch ihre Signalfarbe, sondern auch durch ihre Autoren auffielen, mit denen Hans-Joachim Gelberg im Beltz-Verlag startete. In seinem ersten Kinder- und Jugendbuchprogramm verlegte er Janosch, Frederik Hetmann, Christine Nöstlinger, Josef Guggenmos, Wolfgang Weyrauch und gab das erste seiner Jahrbücher heraus, "Geh und spiel mit dem Riesen", für das er mit dem Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde. Diese Jahrbücher, zehn folgten noch, waren Sammlungen mit einer Vielfalt von Themen, ungewöhnlichen Illustrationen, enthielten kleine Texte und Gedichte und wurden zur Experimentierbühne auch junger unbekannter Künstler.

Gelberg, viele Jahre der wichtigste Scout innerhalb der literarischen Szene, entdeckte sie, erkannte ihr Potenzial und förderte sie mit hohem persönlichen Einsatz. Janosch beispielsweise: Tage und Nächte verbrachte er mit dem exzentrischen genialen Künstler, um an seinem ersten großen Roman "Cholonek oder der liebe Gott aus Lehm " zu arbeiten. Heute zählen viele Autoren von Beltz & Gelberg zur klassischen Moderne: Peter Härtling, Mirjam Pressler, Christine Nöstlinger, Klaus Kordon und Alois Prinz, oder Nikolaus Heidelbach und Erwin Moser.

Wo erwarb Hans-Joachim Gelberg dieses unbestechliche Gefühl des ästhetischen Urteilens, wo fand er, der 1930 in Dortmund geboren wurde, die Bücher, die ihn faszinierten und herausforderten, die ihn bis zuletzt zu einem leidenschaftlichen Leser machten? Als der Krieg ausbrach, zog die Familie nach Wien, und seine Lieblingsbücher waren, so erinnerte er sich, "Der "Lederstrumpf" - ein Geschenk des Großvaters -, "Tom Sawyer" und die Bücher von Karl May, deren Lektüre ihn anregte, selbst Romane in dessen Stil zu verfassen. Nach dem Krieg zurück in Dortmund fand er bei einer Verwandten eine große Bibliothek und las sich von A bis Z durch die Weltliteratur.

Literatur sollte aufklären und gleichzeitig poetisch sein, fand Gelberg

"So bin ich wohl durch frühes Lesen von Literatur, die nicht für Kinder bestimmt ist, im Sinne der Kinderliteratur lesegeschädigt", erklärte er. "Seither sind mir jedenfalls Bücher, die passend sind wie gutgeschnittene Hosen, suspekt. Leider musste ich später erkennen, als ich nämlich anfing, Bücher für Kinder zu machen, dass Quetschen und Zuschneiden zum Geschäft der Kinderliteratur gehörte. So entstand - aus Protest gegen die alte - eine neue Form der Kinderliteratur, an der ich mich lebhaft beteiligt habe".

Doch bis er auf die 68er traf, die mit den Ideen der antiautoritären Erziehung politisch-kritische Kinderbücher fördern wollten und eigene Verlage gründeten, arbeitete er 17 Jahre lang in einer katholischen Buchhandlung in Dortmund. Er wechselte dann ins Verlagsgeschäft und zog mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zuerst zu Arena nach Würzburg, dann zum Bitter-Verlag. Hier druckte er nicht nur Autoren der Gruppe 61, wie Max von der Grün, sondern rettete auch "Der kleinen Hobbit" von Tolkien vor der Ramschliste des Verlages. Mit neuen Illustrationen von Klaus Ensikat wurde das Buch ein großer Erfolg.

Die Aufbruchstimmung der antiautoritären Kinderliteratur spürte man deutlich in den ersten Verlagsjahren bei Titeln wie dem "Nein-Buch für Kinder - hinterher ist man schlauer". Doch trotz Kritik aus der Szene, Literatur bedeutete ihm mehr als Agitation, sie sollte aufklären, aber gleichzeitig poetisch sein, Lyrikausgaben und Märchen gehörten bald zu seinem Programm. 1979 verließ er den Verlag, blieb aber ein gefragter Redner, der für das Verständnis von Kindheit und Literatur warb - wenn er sich nicht gerade in einem wichtigen Punktspiel um die Tischtennismeisterschaft befand, seiner lebenslangen Leidenschaft.

Seinen Erfolg erklärte er so: "Mir selbst muss das gefallen, was ich da mache. So gut muss es schon sein, anders geht es nicht. Ein Buch, das es allen recht macht, gibt es nicht. Und dann noch viele Leser für dieses Buch zu finden, das ist schon was. Glücklicherweise gefallen viele meiner Bücher Kindern und Erwachsenen gemeinsam. Ich denke, darin liegt ein Anspruch der Kinderliteratur - eine Literatur zu sein, die sich nicht aufteilen lässt, nach Alter und Gewicht." Das war sein Credo. In der Nacht auf den 18. Mai ist Hans-Joachim Gelberg kurz vor seinem 90. Geburtstag im Kreis seiner Familie gestorben.

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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