Nachruf:Michael Naura ist tot

Er war erst Pianist, dann als Redakteur Verfechter des Jazz beim NDR. Jetzt ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.

Von Till Briegleb

Er konnte ein Porträt wie eine Novelle klingen lassen, aber auch richtig grob werden. Manche seiner Liebesgedichte an die Heroen des Jazz begannen wie Groupie-Lyrik, bevor sie plötzlich in einen Halbsatz echter Philosophie abbogen. Er schuf stehende Redewendungen wie den "akustischen Milchbrei", wenn er seinen Jazz gegen die "Claydermansche Kotze" abgrenzte, und auch Klassikattitüden bekamen regelmäßig ihr Fett weg, etwa wenn er den "revolutionären Gesellen" Thelonious Monk gegen Chopin-Klimperer mit Perlenkette verteidigte. Michael Naura, der als Redakteur für Jazz im NDR bis 1999 und Autor zahlreicher Publikationen die Rezeption dieser Musik in Deutschland so intensiv prägte wie kaum ein anderer Journalist, war so etwas wie der Horst Janssen der Jazzkritik, ein dionysischer Furor, der in seinen Texten immer auch etwas über die eigene Biografie und das Zeitgeschehen mitlieferte.

Als Bandleader eines Quintetts gab er dem deutschen Nachkriegs-Jazz einen swingenden Geist, bis er krankheitsbedingt Anfang der Siebzigerjahre die Pianistenkarriere ausklingen lassen musste und seine wahre Bestimmung als Geschmacksrichter und Hagiograf, als Veranstalter und Ein-Mann-Kontaktbörse fand. Wer einen besonders begabten Musiker für die eigene Band suchte, rief bei Naura im NDR an und wurde verlässlich bedient. Allerdings nur, wenn es um den "richtigen" Jazz ginge. Am Montag ist der strengste Poet des verbalen Jazz mit 82 Jahren in Hollbullhüüs bei Husum gestorben. Thelonious Monk wird seinen besten Anwalt freudig im Pianistenhimmel begrüßen.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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