Nachruf:Laut lachen über die Welt

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Johannes Grützke (1937-2017) vor einem seiner Gemälde. (Foto: Axel Biewer/dpa)

Der Maler und Satiriker Johannes Grützke ist gestorben. Der große Selbstdarsteller war auch ein Meister der Emotionen.

Von Gottfried Knapp

Was den Berliner Maler Johannes Grützke vor seinen berühmteren Kollegen auszeichnet, ist sein Humor, sein respektloser Witz, seine Bereitschaft, sich selbst als Mensch und Künstler gnadenlos zu ironisieren. Grützke hat die Fähigkeit, große Themen auf beneidenswert hohem malerischen Niveau verblüffend leicht, poetisch verschroben oder auch mal wunderbar schräg abzuhandeln. Diese in seiner Berufsgruppe äußerst rare Eigenschaft lässt ihn bei den Genießern saftiger Peinture und überraschender erzählerischer Pointen zu einer der interessantesten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit werden. Große Teile des Kritiker- und Kuratorenvolks stöhnen aber laut auf, wenn sie Werken von Grützke begegnen: Es graust ihnen vor dem ewig feixenden Unernst, sie finden Grützkes Neigung zum derben Scherz und seine unbezähmbare Lust, Fleischliches sinnlich darzustellen, schlicht degoutant.

Mit anderen Worten: die Urteile über diesen Künstler sind extrem widersprüchlich. Die einen, die Grützkes ironische Kommentare zum Zeitgeschehen und seine Metamorphosen klassischer Bildthemen bewundern, halten den Meister der "Neuen Prächtigkeit" für einen der großen Bilder-Erfinder der letzten Jahrzehnte. Die anderen, die sich nach konzeptuellen Verschlüsselungen sehnen, die von Malerei nicht unterhalten werden wollen, wehren sich gegen die ausgemalten Deutlichkeiten Grützkes; sie nehmen die theatralisch prägnanten Bilddarstellungen gar nicht erst zur Kenntnis. Die Kunstkritik hat also immer schon ein extrem gespaltenes Verhältnis zum Menschenschilderer Grützke und seiner karnevalistischen Weltsicht gehabt.

Umso lieber haben Theater- und Filmemacher dem subversiven Szenenzauberer und aufsässigen Selbstdarsteller zu Auftritten in der Öffentlichkeit verholfen. Bei der großen Retrospektive vor ein paar Jahren im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg konnte man Grützke als clownhaft agierenden Solisten der musikalischen Chaos-Truppe "Erlebnisgeiger" bestaunen. Blättert man nun wieder einmal im damals entstandenen Werk-Katalog, dann ist man spontan begeistert von der Potenz, mit der Grützke physisches Leben zu erzeugen vermochte. Seine Porträts bekannter Persönlichkeiten, mal mit kräftigen Pinselstrichen auf die Leinwand gehauen, mal mit leichter Hand aufs Papier gezaubert, lassen die Personen vor dem Publikum zu sich selber kommen. In den erfundenen Sujets aber, den Gesellschaftsszenen, passieren den in fotografischer Übergenauigkeit erfassten Personen all die peinlichen Dinge, die der Alltag für uns Erdenbürger bereit hält, auf so drastische Weise, dass nur noch ein Schmunzeln oder Lachen als Reaktion angemessen erscheinen.

Grützke konnte mit einer einzigen Figur - seiner eigenen - fast alle Emotionen, die dem Menschen zur Verfügung stehen, in Gemälden glaubwürdig suggerieren. Er konnte aber auch eine ungeheure Vielfalt an Charakteren beschwören, wie der 32 Meter lange "Zug der Volksvertreter" im Untergeschoss der Frankfurter Paulskirche eindrucksvoll beweist. Am 17. Mai ist Johannes Grützke im Alter von 79 Jahren in Berlin einer langen schweren Krankheit erlegen.

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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