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Johann Adam Oest ist mit 72 Jahren gestorben. Der Schauspieler gehörte 30 Jahre lang zum Wiener Burgtheater und war dort der König der Nebenrollen.

Von Wolfgang Kralicek

Zwei Mal hat Johann Adam Oest den Wiener Nestroy-Preis bekommen, beide Male in der Kategorie "Beste Darstellung einer Nebenrolle". Aber obwohl dieser Schauspieler tatsächlich zwar viele, aber selten große Rollen gespielt hat, war er nicht der klassische Nebendarsteller. Der 1946 in der hessischen Kleinstadt Babenhausen geborene Oest war am Staatstheater Karlsruhe, am Theater Neumarkt in Zürich und am Schauspielhaus Bochum engagiert, ehe er 1986 mit Claus Peymann ans Burgtheater nach Wien kam, wo er bis zuletzt nicht nur Ensemblemitglied, sondern auch ein echter Ensemblespieler war. Nur von 2000 bis 2002 nahm er sich eine Auszeit von der Burg, um in Peter Steins "Faust"-Marathon einen von zwei Mephistos zu spielen.

Interviews gab Johann Adam Oest grundsätzlich keine, der Vielspieler äußerte sich ausschließlich auf der Bühne - das dafür sehr bereitwillig. In seinen drei Jahrzehnten am Burgtheater war Oest in 68 Inszenierungen zu erleben; die erfolgreichste Produktion, in der er mitwirkte, war Barbara Freys auf drei Schauspieler konzentrierte Fassung von Shakespeares "Sturm" (2007), die mehr als zehn Jahre lang auf dem Spielplan stand und in der Oest ausnahmsweise einmal der Protagonist war. 119 Mal spielte er den auf eine Insel verbannten Zauberer Prospero, den er nicht zornig und verbittert, sondern wunderbar traurig anlegte.

Grundsätzlich war Oest eher Komödiant als Tragöde, und wie bei vielen großen Komikern war sein Grundton die Melancholie. Um komisch zu sein, brauchte er keine Pointen. Meist genügte ein Blick aus seinen großen traurigen Augen, um die Absurdität einer Situation deutlich zu machen. Oft verliehen seine Auftritte auch mittelmäßigen Aufführungen das Fluidum des Besonderen. In Lukas Bärfuss' "Der Bus" etwa, 2005 im Akademietheater, war er der versoffene Tankwart Anton, bei dem die von Dorothee Hartinger gespielte Heldin, eine seltsame Heilige namens Erika, Zuflucht suchte. Oest spielte den Tankwart, als wär's Schimanskis sanfter Bruder, und zwischen den beiden Sonderlingen entwickelte sich, unter starkem Alkoholeinfluss, eine bezaubernde Liebesgeschichte.

Seine letzten Auftritte am Burgtheater hatte er im "Sommernachtstraum", wo er in ein ergreifend übermotivierter Zettel war, und als tattriger Kaiser Franz Joseph in "Radetzkymarsch", Johan Simons' Adaption des Romans von Joseph Roth. Dass der König der Nebenrollen als Kaiser von der Bühne abtrat, hat etwas Stimmiges. Als Oest 2010 für seine Rollen in Roland Schimmelpfennigs "Der goldene Drache" seinen zweiten Nestroy entgegennahm, bedankte er sich mit einer Politikerrede: "Ich bedanke mich bei meinen Wählerinnen und Wählern", sagte er. "Ich möchte ein Nebendarsteller für alle sein." Aber was heißt schon Nebendarsteller. Wer ihn auf der Bühne gesehen hat, der behält Johann Adam Oest größer im Gedächtnis, als er gespielt hat. Am Dienstag ist er 72-jährig in Wien gestorben.

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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