Nachruf:Der Radikale

Der französische Architekt Claude Parent polarisierte immer. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.

Von Gottfried Knapp

Der französische Architekt Claude Parent gehört zu den Gestaltern, deren Werk schon zu Lebzeiten die heftigsten Widersprüche erregt hat. Die gemeinsam mit Paul Virilio entwickelten brutalistischen Bauten aus den Sechzigern - etwa die bunkerförmige Kirche in Nevers, die inzwischen zum russchwarzen Betonklumpen verkommen ist - sowie die Monumente der Architecture oblique, in denen es ausschließlich schräge Böden, Decken und Wände gab, haben als radikale Manifeste der Avantgarde international Aufsehen erregt, sind aber von wenigen je geliebt worden. Im Jahr 2010 wurden diese planerischen Angriffe auf bürgerliche Geborgenheitsvorstellungen in einer Pariser Ausstellung begeistert wiederentdeckt. Als Liebhaber rasanter Entwicklungen hat Parent mal Wohnhäuser im amerikanischen Bungalowstil gebaut, mal Kaufhaus-Monster, die wie riesige abstrakte Skulpturen den Stadtraum besetzten. Endgültig der Verdammung ausgeliefert hat er sich, als er mit ungebrochenem Zukunftsoptimismus mehreren Atomkraftwerken in Frankreich eine ansprechende Gestalt gab. Am 27. Februar, einen Tag nach seinem 93. Geburtstag, ist Claude Parent gestorben.

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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