Nachruf:Der Chronist Barcelonas schlechthin

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Juan Marsé (1933- 2020). (Foto: dpa)

Der Schriftsteller Juan Marsé ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Mit seinem Roman "Letzte Tage mit Teresa" war er eine Stimme der Generation, die den Übergang Spaniens zur Demokratie erlebte.

Von Sebastian Schoepp

Von allen Chronisten des Übergangs, die Spanien hatte, war er der knorrigste und sperrigste, was die Öffentlichkeit anging. Vielleicht ist Juan Marsé deshalb im Ausland weniger bekannt geworden als seine Weggefährten Manuel Vázquez Montalban oder Eduardo Mendoza. In seiner Heimat aber gilt Marsé als der Chronist Barcelonas schlechthin, zumindest bei der Generation, die den Übergang zur Demokratie miterlebt hat.

Marsés Hauptwerk "Letzte Tage mit Teresa", erschienen 1966, ist das Porträt einer grauen, armseligen Stadt zur Endzeit der Diktatur. Hunger und die Repression der Nachkriegsjahre sind noch zu spüren, die der Autor, Adoptivkind und zuerst kleiner Juwelier, als düstere Beschwernis in sich trug. Der Roman ist kein Fantasy-Eskapismus nach Art des kürzlich verstorbenen Carlos Ruiz Zafón, sondern eine schonungslose Sozialstudie, erzählt in einer detailverliebten, girlandenreichen Sprache, die auch mehr als fünfzig Jahre später in ihren Bann zieht.

Während sein Nachkriegsroman "Wenn man Dir sagt, ich sei gefallen..." noch in Mexiko erscheinen musste, schaffte es Marsé, seine "Teresa" an der Zensur vorbeizulotsen. Ihr sei das Ausmaß der hinter der Poesie versteckten Kritik möglicherweise verborgen geblieben, deutete Marsé selber mal an. Es ist die Geschichte des Manolo, eines murciano , also eines Einwanderers aus Südspanien, in dessen Gesicht man die "unverwechselbaren Spuren des täglichen Kampfes gegen Elend und Vergessen entdeckt", ebenso wie die "krankhafte Gelassenheit, die extremen Entscheidungen voranzugehen pflegt". Manolo schleicht sich ein in die Feste der Schönen und der Reichen, wo er Mädchen kennenlernen will, aber eigentlich eher den Anschluss sucht zu einer Welt, aus der er wegen seiner Herkunft ausgeschlossen ist. Bis er auf Teresa trifft, die Salonrevolutionärin aus gutem Hause, es wird eine Liebe, die ihn erst seinem Traum, dann aber dem Untergang näherbringt.

Seine Einwanderer-Geschichte von Manolo und Teresa bleibt auch nach 50 Jahren aktuell

Wenn man Marsé in seiner Altbauwohnung im Geschäftsviertel Eixample besuchte, dann hörte er sich geduldig die Fragen nach dem Wandel seiner Stadt zum Mega-Touristen-Hub an. Er antwortete, ohne dass sich eine Veränderung in seinem zerfurchten Gesicht abzeichnete, dass er sich in diesem Barcelona fremd fühle; ebenso übrigens wie im aufflammenden katalanischen Separatismus, dem er wie viele Intellektuelle seiner Generation reserviert gegenüberstand - wohl weil er als Zeitzeuge des Bürgerkriegs wusste, was aus Extremismus entstehen kann. Für Marsé war der Gebrauch des Katalanischen im Privaten selbstverständlich, zum Schreiben jedoch griff er auf die Weltsprache Castellano zurück, schließlich wolle man ja außerhalb des eigenen Mikrokosmos gehört werden. Das wurde er, auch wenn ihm die große literarische Ehre, der Cervantes-Preis, erst 2008 zuteil wurde. An Aktualität jedenfalls habe seine Geschichte von Manolo und Teresa nichts verloren, schrieb ein Kritiker damals, man müsse für den murciano nur einen marokkanischen Einwanderer einsetzen und für das Mädchen aus der Oberschicht eine Erasmus-Studentin.

In der Nacht zum Sonntag ist der emblematische Autor Juan Marsé im Alter von 87 Jahren an einem für seine Stadt emblematischen Ort an einem Nierenleiden verstorben - im modernistischen Krankenhaus Santa Pau des Architekten Lluis Domènech i Montaner.

© SZ vom 20.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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