Nachruf:Claretta Cerio gestorben

Lesezeit: 1 min

Die Enkelin des Münchner Malers August Weber, der nach Capri ging und dort blieb, war das lebendige Archiv der Künstlerkolonie auf der italienischen Insel. Nun ist sie mit 92 Jahren gestorben.

In einem Herrenhaus in einem weiten, grünen Tal im Süden der Toskana, lebte in den vergangenen fünfzig Jahren eine Dame. Wenn sie Besuch bekam, wurde er empfangen, wenn sie sprach, taten sich längst vergangene Welten auf. Dabei war die Dame alles andere als sentimental, sie besaß einen schnellen, völlig zeitgenössischen, zuweilen sogar bösen Witz. Es hatte sich gefügt, dass Claretta Cerio auf Capri aufgewachsen war, der italienischen Insel, die von den Dreißigern bis zu Fünfzigerjahren ein Zentrum des Mondänen gewesen war. Sie war die Enkelin des Münchner Malers August Weber, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Künstlerkolonie Capris lebte und nicht nach Deutschland zurückkehrte, sondern eine Italienerin heiratete und eine Pension eröffnete. Im Jahr 1953 heiratete sie Edwin Cerio, einen Schiffsbauingenieur, der über Jahrzehnte Mittler zwischen der Kolonie der Expatriierten und der einheimischen Bevölkerung war. Sie kannte den schwedischen Arzt Axel Munthe, der mit dem "Haus von San Michele" (1929) einen internationalen Bestseller geschrieben hatte. Sie pflegte vertrauten Umgang mit Curzio Malaparte, dem Autor der Romane "Kaputt" (1944) und "Die Haut" (1949).

Norman Douglas, der englische Schriftsteller, ging bei ihr ein und aus, ebenso wie etliche namenlose Künstler. Claretta Cerio schrieb mehrere Bücher über diese so kleine wie weltläufige Gesellschaft, fungierte als lebendige Quelle für das Archiv der Insel und verfasste einige Romane, darunter "Chrysanthemen auf Capri" (1970) und "Einen heißen Sommer lang" (1974). Über sich selbst pflegte sie zu sagen: "Ich bin selber ein archäologisches Fundstück." Wie erst jetzt bekannt wurde, starb Claretta Cerio in der vergangenen Woche im Alter von 92 Jahren.

© SZ vom 05.09.2019 / tost - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: