Nachruf Christoph Vitali:Kunst-Events mit Elan

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Der Ausstellungskurator und Museumsdirektor Christoph Vitali ist im Alter von 79 Jahren in Zürich gestorben.

Von Franz Kotteder

Einen wie ihn schätzt die Kunstszene gemeinhin als Kunden, aber nicht als vollwertiges Mitglied. Denn von der Ausbildung her war Christoph Vitali Volljurist, sogar Anwalt in einer renommierten Schweizer Kanzlei, bevor er in die Züricher Kulturverwaltung wechselte und diese Behörde bis 1978 acht Jahre lang leitete. Zu diesem Zeitpunkt war er 38 Jahre alt, seine weitere Karriere als Kulturverwalter war vorgezeichnet. Es sollte anders kommen.

Hilmar Hoffmann, der sozialdemokratische Kulturpolitiker schlechthin, holte den Schweizer 1979 nach Frankfurt und machte ihn zum Verwaltungsdirektor für die Städtischen Bühnen. Vitali war zuständig für Oper und Ballett, für das Schauspiel und die Kammerspiele. 1985 bekam Frankfurt dann die neu erbaute Schirn-Kunsthalle, und weil zu dieser verwaltungsmäßig auch das Theater am Turm und das Künstlerhaus Mousonturm gehörten, wurde Vitali ihr Gründungsdirektor.

Damit begann für ihn die zweite, eigentliche Karriere als Ausstellungsmacher und Kunstkurator. Er begnügte sich nicht damit, das schwierige Haus - 140 Meter lang, nur zehn Meter breit - wie vorgesehen mit Kunst aus den städtischen Beständen zu bespielen. Gleich seine erste Ausstellung "Die Maler und das Theater im 20. Jahrhundert" mit Werken von Pablo Picasso bis Robert Wilson wurde ein Erfolg. Beeindruckende Retrospektiven von Roy Lichtenstein, Wassily Kandinsky und Marc Chagall folgten und wurden vor allem auch große Publikumserfolge. Mit ein Grund, warum ihn der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) 1994 ans Haus der Kunst nach München holte. Damals litt das Ausstellungshaus unter rapidem Besucherschwund; die Finanzierung, die sich der Freistaat und die Kulturstiftung des Bauunternehmers Josef Schörghuber teilten, stand auf wackeligen Säulen.

Vitali enttäuschte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht. Gleich die erste Ausstellung "Elan vital oder Das Auge des Eros" war ein Renner und zeigte, was den Sohn des Bildhauers Antonio Vitali eben auch antrieb: die Leidenschaft für Kunst und das Bedürfnis, diese Leidenschaft mit vielen anderen zu teilen. Oft zitiert wurde sein Bonmot: "Ausstellungen einzurichten ist die schönste Aufgabe. Enthusiastisch kann man sich immer wieder neuen Themen hingeben wie einer Frau, aber nicht nur einer, man kann polygam sein."

Der stets korrekt auftretende Schweizer lebte diese Polygamie sichtlich lustvoll aus. Auch wenn einige nörgelten, die Events schadeten der Kunst, brach er gerne mit Konventionen. Er schaffte die Schließtage ab und öffnete das Haus der Kunst bis abends um 20 Uhr. München stellte überrascht fest, dass man Gemälde und Skulpturen tatsächlich auch nach 16.30 Uhr ansehen konnte, ohne Schaden an Leib und Seele zu nehmen. Vitali zeigte bisweilen drei große Schauen gleichzeitig; zu der Ausstellung "Die Nacht", die internationale Kunst zum Thema versammelte, gab es nächtliche Führungen. Bei einer Pop-Art-Schau ließ der Jazz-Fan Vitali von einem DJ eine Nacht lang Jazz auflegen.

Der schlanke, groß gewachsene Vitali trat stets bescheiden auf und setzte sich schon mal demonstrativ an die Museumskasse. Eine ganze Weile wohnte er sogar im Haus der Kunst. Auch das zeigt seinen unbedingten Einsatz, schließlich ist der alte Nazi-Bau alles andere als eine gemütliche Wohnstatt. Die düstere Vergangenheit des Hauses hat Vitali auch als Direktor deutlich gemacht: durch eine umfassende Dokumentation an den Wänden vor den Ausstellungsräumen.

Nach zehn Jahren und vielen Rekorden - das Haus hatte bald eine halbe Million Besucher im Jahr - war dann Schluss für ihn am Haus der Kunst. Sein Nachfolger wurde der Belgier Chris Dercon. Vitali ging zurück in die Schweiz, zur Fondation Beyeler nach Basel. Am 18. Dezember ist er, wie erst nach Weihnachten bekannt wurde, in seiner Heimatstadt Zürich gestorben. Er wurde 79 Jahre alt.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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