Nachruf:Christof Thoenes ist gestorben

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Der Kunsthistoriker Christof Thoenes gehörte zu den führenden Kulturwissenschaftlern. Seine Forschungen zur italienischen Architektur des 15. bis 18. Jahrhunderts waren wegweisend.

Von Horst Bredekamp

Der in Dresden geborene Kunsthistoriker Christof Thoenes wurde durch seine Studienzeit an der Freien Universität Berlin geprägt, wo er 1955 in Kunstgeschichte promovierte, um dort bis 1960 als Assistent zu wirken. Er erlebte eine Atmosphäre, die stark von dem Religionsphilosophen Klaus Heinrich sowie der Kritischen Theorie geprägt war. Beide Impulse sind ihm ein intellektueller Anspruch geblieben. Nach seiner Habilitation wurde er an die Bibliotheca Hertziana in Rom berufen, wo er als herausragender Kenner insbesondere der italienischen Architekturgeschichte höchstes Ansehen genoss, was zu vielen Auszeichnungen führte.

Thoenes' Forschungen reichen von der Stadtplanung und der Ikonologie der Plätze über einzelne Architekten wie Bramante, Vignola, Palladio und Bernini bis zur Malerei der Hochrenaissance. Insbesondere Raffael war ihm ein Beispiel, dass zwischen Auftraggebern und Künstlern ein Konfliktverhältnis programmiert war. Im Künstler, der selbst in dienender Rolle einen Eigensinn zu behaupten versteht, konzentrierte sich für Thoenes der Begriff der Freiheit schlechthin.

Seine Prämisse, dass die ästhetische Form sowohl als ein Reflex wie auch als ein Stimulanz sozialer Erfahrung gelten kann, hat Thoenes paradigmatisch im Werk von Michelangelo in immer neuen Anläufen vorgeführt. Ein Geniestreich einer so verstandenen Architekturgeschichte war sein Essay zu Vignolas Palazzo Farnese in Caprarola, in dem er die Struktur der Arbeitsorganisation als frühes Modell des absolutistischen Staates analysierte, Jahrzehnte bevor Jean Bodin dessen theoretische Grundlagen vorlegte.

Ein melancholischer Grundzug durchzog Thoenes' Überlegungen

Von der Bibliotheka Hertziana aus hat man einen Fernblick auf die Peterskuppel, die Thoenes intellektuelle Biografie neben seinem geliebten Neapel, dem er einen unvergänglichen Führer gewidmet hat, in besonderer Weise geprägt hat. Gegenüber dem Neubau von St. Peter gingen Bewunderung und Kritik Hand in Hand; so hat Thoenes mit erkennbarer Lust in einem auch kulturgeschichtlich bedeutenden Artikel beschrieben, mit welcher Lust sich im 16. Jahrhundert gerade Künstler aus den protestantischen Ländern der Ruine des Neubaues widmeten. Methodisch hervorzuheben ist auch sein Versuch, der Kuppel des großen Holzmodells Antonio da Sangallos, jener gewaltigen Kleinarchitektur, die, obzwar Modell, doch alle Maßstäbe zu sprengen scheint, in ihrer konzeptionellen Dimension Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Sangallos Volte der Architekturgeschichte hatte sich als ein Irrweg herausgestellt wurde nie verwirklicht. Dennoch erfuhr sie durch Thoenes jene Sympathie, die ein monumentales Scheitern zu erwecken vermag. Hierin äußert sich ein melancholischer Grundzug, der alle Überlegungen von Thoenes durchzog.

Unvergesslich geblieben ist mir seine Reaktion auf eine Rezension, die ich über die gemeinsam von ihm mit Franz Graf Wolff Metternich verfasste Publikation zur frühen Baugeschichte Neu-St.Peters verfasst habe und die den Untertitel trug: "Die Baugeschichte von St. Peter ist abgeschlossen". Am selben Abend rief mich Thoenes von Rom aus mit der Feststellung an, dass natürlich mehr als vier Jahrzehnte Arbeit in die Buchpublikation geflossen seien, dies aber doch nur bedeute, dass damit nicht ein Ende der Forschungen erreicht, sondern lediglich eine Grundlage gesetzt sei, auf der neu zu beginnen wäre. Noch mehr als alle Auszeichnungen wiegt, dass Thoenes an der Bibliotheca Hertziana in diesem Sinn stimulierend auf Generationen von jungen Forschern gewirkt hat. Am 21. Oktober ist er in Rom an Herzversagen gestorben.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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