Nachruf:Aufklärer und besessener Antikommunist

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Seine Bücher über die grausamen Verbrechen des Stalinismus machten den Historiker Robert Conquest weltweit bekannt. Jetzt ist er im Alter von 98 Jahren gestorben.

Von Sonja Zekri

Er wurde bekannt auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als die Welt noch überschaubar war. Heute, wo mancher diese Überschaubarkeit wieder entstehen sieht, lohnt es sich, an die damalige Dramatik zu erinnern. Es war 1968, Ost und West belauerten sich, die Verbrechen des Stalinismus waren vage bekannt, aber als Robert Conquest sein Buch "Der große Terror" veröffentlichte, war auch dem Letzten klar, wie böse das Reich des Bösen war.

Conquest war leidenschaftlicher, ja besessener Anti-Kommunist, wie man es nur als ehemaliger Bolschewik sein kann; er hatte Moskau im Terrorjahr 1937 sogar selbst besucht. In seinem Buch nun beschrieb er die Säuberungen Ende der Dreißiger mit einer Wucht, die sich aus Exilantenberichten, sowjetischen Presseausschnitten und dank Chruschtschows Tauwetter erstmals zugänglichen Quellen speiste. Timothy Garton Ash nannte ihn den "Solschenizyn vor Solschenizyn", was ganz gut die Erwartungen beschreibt, die sich damals an eine heute im Westen überholte Art von missionarischer Geschichtsschreibung knüpften. Die Linke hasste ihn, die Rechte liebte ihn, und so blieb es, auch als er 1986 "Die Ernte des Todes" über den Hungermord an der Ukraine, das nächste große Verbrechen Stalins, vorlegte. Man könne die Sowjetunion und ihre Menschen nicht mit westlichen Maßstäben von Gut und Böse bewerten, sagte er einmal: "Es ist besser, sie als Marsmenschen zu betrachten."

Dabei sah sich Conquest als gemäßigt, als Freund der US-Demokraten. Denn er, Sohn eines amerikanischen Vaters und einer britischen Mutter, als George Robert Acworth Conquest im Jahr der Oktoberrevolution 1917 im englischen Malvern in der Grafschaft Worcestershire geboren, hatte im Zweiten Weltkrieg als Verbindungsoffizier für die bulgarischen Streitkräfte unter sowjetischem Kommando gedient und später im Information Research Department antisowjetische Aufklärung, also Gegenpropaganda für das britische Außenministerium betrieben. Aber in den USA machte er eine akademische Karriere. Nach dem Ende der Sowjetunion fuhr er wieder nach Russland und sah sich durch die neu geöffneten Archive bestätigt. Jüngere Historiker gehen andere Wege, wenige kommen ganz an ihm vorbei. Nun ist Robert Conquest im Alter von 98 Jahren in Palo Alto gestorben.

© SZ vom 06.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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