Nachruf auf Panamarenko:Ikarus oder Karlsson

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Der belgische Künstler Henri Van Herwegen alias Panamarenko baute Traummaschinen. Ein Asteroid wurde nach ihm benannt.

Von Till Briegleb

Krankenhäuser und irre Reiche bauen sich Hubschrauberlandeplätze aufs Dach - und Panamarenko. In einer eher armen Gegend im Norden Antwerpens mit fünf Meter schmalen Stadthäusern aus dem 19. Jahrhundert, zwischen Moscheen und Africa Night Shops, Moda Anatolia und Kashmir City Grill wirkt eine Helipad aber besonders absurd. Doch die skurrile Plattform auf dem olivgrünen Eckhaus mit dem weit hervorstehenden Glaserker ist auch nicht zum Landen konstruiert. So wenig wie Panamarenkos U-Boote tauchen und seine Ufos fliegen konnten, so wenig ist der belgische Künstler jemals abgehoben von seinem Atelierhaus. Geflogen sind hier nur seine Papageien, mit denen er Jahrzehnte in dem offen einsichtigen Gebäude gehaust hat. Die Mobilitätskonstruktionen, die ihn weltberühmt machten, verleihen nur der Fantasie Flügel.

Inzwischen darf man das auch offen sagen, nachdem sehr lange ein großes Rätsel darum gemacht wurde, ob der 28 Meter lange Zeppelin "Aeromodeller" oder die U-Boote, die Kofferantriebe und Rennautos, die Henri Van Herwegen, alias Panamarenko, seit den Sechzigern gebaut hat, auch funktionieren. Es ging natürlich darum, den Mythos von einem Leonardo d'Anversa ein bisschen zu pflegen, der die technische Renaissance für das moderne Zeitalter wiederholt. Und viele seiner Flug- und Tauchgeräte waren ja auch zweifelsfrei inspiriert von den rötlichen Konstruktionszeichnungen da Vincis. Nur blieb der Bastelanschein von Panamarenkos Fahrzeugdesign immer bestimmend.

Wer würde sich schon in eine fliegende Untertasse aus Holz und Plexiglas setzen, oder in ein U-Boot mit wulstigen Schweißnähten? Aber der Reiz der Vorstellung wurde dadurch natürlich vergrößert, dass die Möglichkeit nicht völlig ausgeschlossen wurde, damit ein bisschen zu fliegen, zu tauchen, zu rasen. Der Museumsbesucher konnte sich mit glücklichem Staunen ausmalen, wie er mit Panamarenkos Flügeln oder aufgeschnallten Propellern zu Ikarus oder Karlsson auf dem Dach wurde, mit dem massiven grauen U-Boot "Nova Zemblaya" als Captain Nemo auf dem Weg nach Spitzbergen sei oder als Raumpatrouille Orion auf Kurs Vega.

2015 wurde ein Asteroid nach ihm benannt. Flieger, grüß mir die Sonne!

Erst als Panamarenko sich 2005 zur Ruhe setzte, mit der offiziellen Begründung, das er keinen Platz mehr für seine Riesenapparate fände, erklärte er es auch öffentlich: "Wenn ich etwas entworfen habe, hat es nicht funktioniert. Wenn das der Fall wäre, wäre ich kein Künstler, sondern ein Ingenieur." Vielleicht könnte man sagen, dass der schräge Vogel mit den grauen Fluglocken auf dem Kopf ein Ingenieur der Träume gewesen ist. Ebenso fasziniert von Hitlers Marschflugkörper Fieseler 103, besser bekannt als Vergeltungswaffe 1 (V1), wie von Mercedes' Silberpfeilen der Fünfzigerjahre, von griechischen Mythen wie von Maschinenpionieren, aber auch von Comic-Erfindungen und Flugsaurierskeletten, schuf er seine spielerische Version des technischen Optimismus für die Kunst, der versprach, das alles möglich ist.

Diese selbstgebastelte Utopie grenzenloser Bewegungsfreiheit entsprach natürlich genau dem Humor von Fluxus-Künstlern und Kuratoren der Sechziger- und Siebzigerjahre. Beuys lud Panamarenko 1968 an die Düsseldorfer Kunstakademie ein, Harald Szeemann fand ihn perfekt für seine documenta 5 der "individuellen Mythologien" und stellte in Kassel seinen Aeromodeller aus. Und mit Panamarenkos erster großen Retrospektive 1982 im Münchner Haus der Kunst lehrte der Poesie-Ingenieur allen Kindern und Kindgebliebenen das Staunen im ganz großen Rahmen. Die opulente Ansammlung von Traummaschinen war ein Rausch des "Was wäre wenn?", der sogar Menschen erfasste, die sich für nüchterne Technokraten hielten.

Obwohl Panamarenkos Kunst immer leicht zugänglich und damit enorm populär blieb (zu seiner Abschiedsretrospektive in Antwerpen im Jahr 2005 kamen mehr als 100 000 Besucher), stand sie immer in einem kulturhistorischen Kontext vieler Bezüge. Von Leonardo da Vincis Konstruktionsgenie bis zu den euphorischen Entwürfen russischer Revolutionskünstler und italienischer Futuristen, von der kinetischen Kunst Jean Tinguelys bis zur unrealistischen Architekturvision von Archigram, von Pop Art und Comic bis zum Produktdesign führte ihn seine Auseinandersetzung mit dem technischen Sehnen. Aber im Gegensatz zu vielen Kunststars, die ihre ursprünglichen Inspirationen über die Jahre immer kommerzieller designen, wurden die Träume von Panamarenko nie gelackt.

Nun ist Panamarenko, der seit 2002 zurückgezogen in einer Kleinstadt in den Ardennen lebte, kurz vor seinem 80. Geburtstag gestorben. Zwei große Ausstellungen, die für nächsten Monat in Antwerpen geplant waren, werden nun den Abflug dieses Fantasiehubschraubers in die ewigen Jagdgründe der Schweißnaht würdigen. Oder zu dem Asteroiden, der 2015 nach ihm benannt wurde. Flieger, grüß mir die Sonne.

© SZ vom 17.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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