Nachruf:Ärgere in Frieden

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Der amerikanische Installationskünstler Vito Acconci ist im Alter von 77 Jahren gestorben. Er war auch Architekt und Poet - aber für seinen Grabstein wünschte er sich schon vor Jahren nur den Titel: "Öffentliches Ärgernis".

Von Catrin Lorch

Als Vito Acconcis Tod im Alter von 77 Jahren am vergangenen Freitag bekannt wurde, war nicht klar, wem nachzurufen ist. Dem Menschen, natürlich. Aber sonst? Dem Poeten oder dem Architekten oder dem Installationskünstler? Fest steht, dass dem 1940 in New York geborenen Sohn italienischer Einwanderer die Kunst zeitlebens suspekt blieb. Auf die klassische Rangordnung der Künste angesprochen, bei der die Literatur einst an der Spitze stand, sagte Acconci, er würde die Poesie schon deswegen am unteren Ende der Skala platzieren, weil sie für ihn das Fundament seines Werks sei - es gäbe keine Arbeit, die er nicht zunächst formuliert hätte, Wort für Wort.

Was auf dem Grabstein stehen soll? "Öffentliches Ärgernis".

Dennoch gab er nach einem Studium der Literatur bald die Arbeit an dem von ihm gegründeten Magazin 0 to 9 auf, um sich als Künstler zu bewegen. Und zwar im Wortsinn, denn eines seiner frühesten Werke bestand darin, Personen durch die Straßen von New York zu verfolgen. "Es war die einzige Möglichkeit für mich, vom Schreibtisch weg und in die Stadt zu kommen", sagte Acconci später.

Was die Kunstgeschichte heute rückblickend als frühe Performances schätzt, war damals für Zuschauer vor allem verstörend: Acconci rieb seinen Arm oder biss sich selbst. Und der "Performance Test" bestand allein darin, dass er jeden seiner Zuschauer intensiv anstarrte. Zu notorischer Berühmtheit brachte es die Performance "Seedbed", für die er sich im Jahr 1972 in der Galerie von Ileana Sonnabend unter einen falschen Fußboden legte und onanierte. Lautsprecher übertrugen seine Gedanken und Fantasien dabei, die er als langen Monolog in ein Mikrofon sprach. Bald verwendete Vito Acconci auch Videotechnik, nicht allein um seine Performances aufzuzeichnen, sondern auch um Situationen herzustellen, bei denen einer vor dem Fernseher sitzt - und einer im Monitor.

In den Achtzigerjahren kam es zu einem unerwarteten Wandel und Acconci, der immer betont hatte, dass Galerie und Museum für ihn nur Ersatz-Orte für den öffentlichen Raum waren, begann sich mit Architektur zu beschäftigen und mit Kunst für den öffentlichen Raum. Seine ersten Entwürfe wie "Instant House" waren noch für Ausstellungen gemacht, bald entwarf er Wartesäle für Flughäfen und künstliche Inseln. So hat Vito Acconci zwei Mal an der Documenta teilgenommen, zuletzt wurde sein Werk dann aber im Jahr 2001 auf der Architektur-Biennale in Venedig mit einer Ausstellung seines "Studio Acconci" gewürdigt.

Doch hat er wohl nie wirklich die Profession gewechselt, sondern nur in seiner Karriere ausgenutzt, was die Kunst im 20. Jahrhundert ausmacht. Das ist die Fähigkeit, allen Gattungen und auch noch den entlegensten Experimenten einen Rahmen zu geben. Befragt, was denn eines Tages auf seinem Grabstein stehen solle, antwortete er, dass er eigentlich gar nicht erwarte, mit einer eigenen Formel geehrt zu werden. Trotzdem konnte er sich am ehesten einen juristischen Begriff vorstellen: Vito Acconci, "Öffentliches Ärgernis".

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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