Nachrichten aus dem Netz:Anleitung zur Selbstüberwachung

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In einem Akt der Gnade geben Google und Facebook Einblick in die Daten, die sie von Nutzern sammeln. Was kann man aus ihnen lernen?

Von Michael Moorstedt

Es geht ja doch eher ungerecht zu im Internet. Permanent wird das eigene Online-Dasein von Konzernen überwacht, die mit dessen Vermarktung einen Haufen Geld einstreichen. Da wäre es doch nur recht und billig, möchte man rufen, wenn man auch Einsicht in die von einem selbst erzeugten Daten bekäme. Seit vergangener Woche ermöglicht Google seinen Usern nun in einem seltenen Akt von Kulanz einen Einblick in sämtliche Suchanfragen, die sich auf ihrem Nutzerkonto aufsummiert haben. Man kann sie auch herunterladen und speichern.

X-tausend Mal hat man sich im Laufe der Jahre an die Maschine gewandt. Google-Suchen offenbaren unsere Wünsche, Ängste und Nöte. Sie zeigen, wer man ist. Oder besser: Wer man einmal war. Die Zeiten ändern sich. Google logiert nicht mehr in einer Garage, sondern in einem herrschaftlichen Komplex, der eine halbe Milliarde Dollar gekostet hat. Und man selbst sucht nicht mehr nach der Route zum angesagten Indie-Club, sondern nach der Ursache und Kur für das Fieber des Säuglings.

Google ist mit seiner Transparenz-Aktion spät dran. Twitter erlaubt seinen Mitgliedern schon seit einigen Jahren einen Einblick in alle jemals gesendeten Tweets. Ähnlich funktioniert es bei Whatsapp, und auch auf Facebook lässt sich ein mehr als 60 Kategorien umfassendes Ego-Dossier abspeichern, das angeblich die eigene Identität im Verlauf der Zeit darstellt. Von Gefällt-mir-Angaben über Gesichtserkennungsdaten bis hin zu religiösen und politischen Ansichten ist alles dabei.

Was macht man mit diesen Daten? Als Normalo-User hat man keinen Zugriff auf die Big-Data-Wunderwerkzeuge, mit denen man von IT-Konzernen vermessen wird. Doch es müssen sich doch Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ziehen lassen. Was bedeutet es, wenn die E-Mail-Konversation mit dem Lebenspartner weniger Anschläge umfasst als die mit den Kollegen? Was sagt es mir, dass im Oktober weniger gesucht wurde als im Februar?

Kleine Programme wie der "Free Sentiment Analyzer" versprechen Abhilfe. Sie untersuchen eine Textmasse auf die generelle Stimmung, sind aber eher eine Spielerei. Doch auch IBMs künstliche Intelligenz Watson hat eine "Personality Insights"-Software im Repertoire. Man füllt ein Eingabefeld im Internet mit einem selbst verfassten Text, und in Sekundenschnelle spuckt das Programm in einer Art Algorithmus-Astrologie ein Profil aus. Charakterzüge, Wertvorstellungen und Bedürfnisse des Verfassers werden in Prozentpunkten angegeben. Laut Probanden liegt die Maschine erschreckend nah an der Selbsteinschätzung.

Natürlich haben findige Programmierer bereits eine Software entwickelt, mit der sie die Ego-Analysen zu Geld machen wollen. Eine neue App namens Crystal soll eine Art Kommunikations-Coach sein. Er wollte seine emotionale Intelligenz technologisch verbessern, sagt der Entwickler Drew D'Agostino. Crystal untersucht öffentlich zugängliche Datenquellen auf die Persönlichkeiten der jeweiligen Gesprächspartner und gibt Tipps, auf welche Art von Ansprache sie am besten reagieren. Welche Grußworte soll man verwenden, soll man sich kurz fassen oder ausschweifend werden, wäre gar ein Scherz angemessen? In Zukunft, so hofft Gründer D'Agostino, werden wir unter Anleitung kommunizieren.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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