Nachrichten aus dem Netz (56):Mediale Schlammschlacht

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Im Kampf um Wählerstimmen haben die Anwärter auf das Präsidentenamt in den USA vergessen, was sich gehört - dumm nur, dass alles aufgezeichnet und ins Netz gestellt wurde.

Jörg Häntzschel

Die endlosen US-Vorwahlen, jene faszinierende Mischung aus Soap Opera und "Ben Hur" sind vorbei, doch aus monatelanger Gewohnheit wird hier und dort noch getreten und gebissen.

Eine Flut von Schmutzattacken dürfte noch bevorstehen: Barack Obama, demokratischer Präsidentschaftskandidat. (Foto: Foto: AP)

Matt Drudge war bisher die bête noir der amerikanischen Linken. Der düstere Mann mit Strohhut und Killerinstinkt startete seinen sensationshascherischen Drudge Report als Clinton-Hasser und trug dann seinen Teil zu den acht Jahren Bush bei.

Doch jetzt, so glauben viele, die gelernt haben, im Kaffeesatz seiner wild zusammengerührten Artikel-Links zu lesen, ist er angeblich ins Lager von Barack Obama übergelaufen. Das behauptet, laut Huffington Post , zumindest Phil Singer, Hillarys ehemaliger Vize-Pressemann.

Dass das Clinton-Lager Drudge immer wieder mit Exklusivgeschichten belieferte, sagte er nicht dazu. Drudge stehe jetzt jedenfalls auf der schwarzen Liste der Clintons, schreibt die Huffington Post.

Auch Mayhill Fowler dürfte sich in dieser Gesellschaft befinden. Die Bloggerin der Huffington Post quatschte Bill Clinton wenige Tage vor dem Ende der Vorwahlen bei einem Auftritt an und fragte ihn nach seiner Meinung zu der diskreditierenden Geschichte über seine zweifelhaften Freunde, die in Vanity Fair erschienen war.

Der Ex-Präsident schien nur auf die Gelegenheit zu warten, den Autor "schmierig", "schleimig" und einen "Kotzbrocken" zu nennen. Fowler schnitt den Ausfall auf Band mit, stellte ihn unverzüglich ins Internet und gab damit die schrille Note vor, auf der Bill Clintons polternd-paranoider Wahlkampf für seine Frau endete.

Fowler war es allerdings auch, die Obama einige Wochen zuvor zu seinen Kommentaren über die Wähler hingerissen hatte, die ihrer "Verbitterung" wegen zu "Religion und Waffen" flüchteten. Müssen sich Blogger eigentlich artig vorstellen wie unsereins?

Barack Obama ist nun endlich die Heckenschützin Clinton losgeworden, doch die eigentliche Flut von Schmutzattacken dürfte noch bevorstehen. Um die Insinuationen und gezielt gestreuten Gerüchte zu stoppen, bevor sie weitere Kreise ziehen, hat er jetzt sogar eine eigene Website gestartet.

Ob das die Flächenbrände allerdings löschen kann, die immer wieder aufflackern, gelegt sogar von Demokraten, ist unklar.

Doch solange John McCains Kampagne weiterhin so chaotisch erscheint wie bisher, muss sich Obama wohl keine allzu großen Sorgen machen. Der Senilitätsverdacht wird selten offen ausgesprochen, aber jeder denkt daran.

Im Netz sind kompromittierende McCain-Videos der Publikumsrenner geworden, spätestens seit der bizarren Rede, die die unfreiwillige Komik des ehemaligen Kriegshelden offenbarte.

Der Auftritt, als listiger, präemptiver Schlag gegen Obama geplant, der eine Stunde später vor 20 000 Menschen seine Siegesrede hielt, amüsiert die Leute noch heute.

Seitdem tritt McCain fast täglich in irgendein Fettnäpfchen, widerspricht sich oder brilliert mit seiner Weltfremdheit, wie bei einem Interview, als er nicht ohne Stolz bekannte, er könne keinen Computer bedienen.

© SZ vom 16.6.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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