Musikskandale:Pavillon der Phantome

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Gabriel Astruc lebte und verausgabte sich für die Musik. Die moderne, radikale, skandalumwitterte. Er baute sein eigenes Theater, und ruinierte es mit der Uraufführung von Strawinskys Sacre du Printemps!

Von Reinhard J. Brembeck

Das ist einer, " der (ich sage das laut, weil es ihm zur Ehre gereicht) oft zum Ruhme der Musik und des Tanzes Geld ausgab, das er nicht hatte . . ." So wird Sergej Diaghilew von Gabriel Astruc gerühmt. Während ersterer auch musikfremden Menschen als Ermöglicher der legendären Ballets Russes ein Begriff ist, dürfte den Impresario und Journalisten Gabriel Astruc kaum jemand kennen. Die meisten der Pariser Sensationserfolge Diaghilews, die 1913 in der skandalumwallten Uraufführung des "Sacre du printemps" kulminieren, wurden erst durch Astruc möglich. Er brachte in den ersten Jahren nach 1900 die musikalische Avantgarde, zu der damals noch eine Gesamtaufführung der Beethoven-Sinfonien gehörte, nach Paris: die "Salome" von Richard Strauss, das "Martyrium des Hl. Sebastian" des Duos Debussy & d'Annunzio und eben die Ballets Russes. Auf dem Höhepunkt seiner Kunstbegeisterung baute sich Astruc nach "zehn Jahren Zwangsarbeit" ein eigenes Haus, das 1913 eröffnete Théâtre des Champs-Élysées, ein Unternehmen, das schon nach vier Monaten im Ruin endete. Hatte Astruc doch Diaghilews maßlosen Geldforderungen akzeptiert: "Diese Narrheit, die nicht zu begehen ich kein Recht hatte, machte die Premiere des Sacre du printemps möglich, kostete aber meiner Direktion das Leben."

"Der Orchestergraben ist zu klein", war der knappe Kommentar eines jungen unbekannten Komponisten mit "dicken Brillengläsern, rund wie die Scheinwerfer eines Leuchtturms". Der Mann hieß Igor Strawinsky, der Orchestergraben war wie das ganze Théâtre aus Stahlbeton gebaut, aber "Igor der Schreckliche" machte die Uraufführung des "Sacre" von einer Erweiterung abhängig. Also tat Astruc, was der idealtypische Intendant tun muss: Er ließ Presslufthämmer und Schweißbrenner kommen. Es folgte der größte Musikskandal der vergangenen einhundert Jahre. Astruc erhellt in anekdotendurchsetztem Plauderton all jene Details, die die Katastrophe unabwendbar machten: Galaabend, Publikumsborniertheit, konvulsivische Choreografie und musikalisch "eine ununterbrochene Abfolge von Rätseln, wie eine Art musikalisches Erdbeben". Der "Sacre wurde meinen Abonnenten völlig roh vorgesetzt", das Publikum "erhielt einen förmlichen Knüppelhieb auf den Kopf."

Astruc hat nach diesem Fiasko wieder als Journalist gearbeitet, veröffentlichte 1929 seine Memoiren "Le Pavillon des fântomes". Kurz vor seinem Tod bereitete er 1936 ein weiteres knapp gehaltenes Erinnerungsbuch vor mit dem Titel "Mes Scandales", das erst kürzlich um ein paar Artikel erweitert publiziert wurde und jetzt in einer brillanten bibliophilen Ausgabe auch auf Deutsch vorliegt. Eine "Sittengeschichte der Musik" nennt Astruc sein Skandal-Opusculum, was auf den ersten Leseeindruck hoch gegriffen erscheint. Doch was wie Geplauder wirkt, entpuppt sich als schonungslose Gesellschaftskritik eines illusionslosen Kunstenthusiasten, der auch Erfahrungen machte mit antisemitischen Kampagnen. Die Musikbegeisterten, die bereit sind, Geld für ihre Leidenschaft auszugeben, beziffert Astruc für die Dreieinhalbmillionenstadt Paris auf 10 000, die angeführt werden von den "schönen Damen" und den Musikkritikern. Während erstere süffisant geschmäht werden, gilt dem Musikkritiker Astruc der Musikkritiker als "Liebender in der Fremde, ein zur Schüchternheit verdammter Liebhaber" der Musik. Dann folgt eine visionäre Beschreibung der heutigen Rolle von Musik und Musikkritik - geschrieben freilich aus dem Pariser Musikleben um den Ersten Weltkrieg herum. "Sport contra Beethoven!" ist die Realität, das Fazit: "Bei uns nimmt die Musik den hintersten Platz ein."

Gabriel Astruc: Meine Skandale. Strauss, Debussy, Strawinsky. Aus dem Franz. von Joachim Kalka. Berenberg Verlag, Berlin 2015. 128 S., Abb., 22 Euro.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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