Musik:Ihre Chance

Alondra de la Parra (PR Material)

Die 38-jährige Mexikanerin Alondra de la Parra leitet seit 2017 das Queensland Symphony Orchestra. Am kommenden Sonntag dirigiert sie die Premiere von Mozarts "Zauberflöte" an der Staatsoper Unter den Linden.

(Foto: Felix Broede)

Die Dirigentin Alondra de la Parra springt bei der "Zauberflöte" in Berlin ein. Was für eine Karriere!

Von Julia Spinola

Alondra de la Parra stürmt mit wehenden Haaren, rosigen Wangen und einem strahlenden Lächeln ins Intendanzgebäude der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Auf dem Arm trägt sie ihren zehn Monate alten Sohn, das Kindermädchen schiebt den mit Taschen bepackten Kinderwagen. Mit dem Entschuldigungsblick der notorisch eiligen, berufstätigen Mutter zweier Kinder entschuldigt sie sich dafür, ein paar Minuten zu spät gekommen zu sein, braucht erst einmal einen Tee, gibt dem kleinen Julian noch schnell einen Kuss.

Dann sitzen wir allein in einem Zimmer, von dessen Wänden die gerahmten Porträts legendärer Maestri herabblicken. "Ich hatte wirklich sehr, sehr stressige fünf Tage", gesteht de la Parra, die es erst jetzt allmählich glauben kann, dass sie an diesem traditionsreichen Haus eine Premiere dirigieren wird. Aber über die Aufregung, so sprudelt es aus ihr in fast akzentfreiem Englisch heraus, sei sie inzwischen hinweg. Nach den ersten Proben mit der Staatskapelle und den Sängern sei ihr klar: "Ich weiß, es wird gut".

Diese Positivität, diese Zuversicht und Freude machen de la Parras Charisma aus. Wenn sie am Pult steht, scheint sie das Orchester mit einer Welle von Glückshormonen zu fluten. Ihre unbändige Lebensenergie springt unmittelbar auf die Musiker über. Sie schöpft tief aus ihrer Intuition, die sie auch bei wichtigen Entscheidungen zurate zieht. Als man sie vor zehn Tagen fragte, ob sie als Dirigentin bei der Staatsopern-Premiere der "Zauberflöte" am kommenden Sonntag für Franz Welser-Möst einspringen könne, der sich wegen einer Knieverletzung zurückziehen musste, hatte sie genau eine Nacht Bedenkzeit.

Dies geschah nach einer Vorstellung von Mozarts "Thamos" in der spektakulären Inszenierung von "La Fura dels Baus" bei der Salzburger Mozartwoche, ihrem ersten wirklichen Opernprojekt, wenn man von einer Schulaufführung der "Carmen" und konzertanten Aufführungen einzelner Arien absieht. Alondra de la Parra brachte die Kinder ins Bett und versenkte sich bis zum Morgen in eine "Zauberflöten"-Partitur, die sie sich erst kaufen musste, weil ihre eigene zuhause in Mexiko lag. Da Mozarts Musik sie seit Kindertagen begleitet habe, so erzählt sie, habe sie ihre Verbindung zu seiner Musik in dieser Nacht stark spüren können. Also nahm sie die Herausforderung an. Drei Tage lang vergrub sie sich in die Noten, um sich auf die Proben vorzubereiten. "Ich habe noch nie in meinem Leben so hart gearbeitet", erklärt sie und lacht dabei übers ganze Gesicht. "Ich habe kaum geschlafen. Ich sollte die ,Zauberflöte' hier ja eigentlich erst im September dirigieren." Auf dem Weg zur zweiten Probe sei sie dann auch noch direkt in Daniel Barenboim hineingerannt, den weltberühmten Chef der Staatsoper, den sie bislang nur aus der Ferne bewundert hatte.

Ihr Mentor Kurt Masur sagte zu ihr: Für die "Pathétique"-Symphonie habe sie noch nicht genug gelitten

1980 in New York als Kind mexikanischer Eltern geboren, aufgewachsen in Mexiko in einem musik- und kulturbegeisterten Haushalt, träumte Alondra de la Parra schon als Kind davon, Dirigentin zu werden. Mit sieben Jahren begann sie, Klavier zu spielen, mit dreizehn kam das Cello dazu. Sie ging viel ins Konzert und verliebte sich in das symphonische Repertoire: "Mein Körper fühlte mit den Symphonien, mit den Farben des Orchesters". Aber der Traum und das Selbstbild einer musikbegeisterten Jugendlichen, die es liebt, den Ton anzugeben, schienen schier unerreichbar weit vom tradierten Bild des Dirigenten entfernt zu sein. "Schauen Sie sich die Dirigentenporträts an dieser Wand doch an", lacht de la Parra. "Sie sind alle alt, weißhaarig, europäisch und männlich." Auf die Frage, wem von ihnen sie am liebsten begegnet wäre, steht sie auf und schlendert mit großen Augen von Bild zu Bild, wie ein Kind, das sich in einem Schokoladengeschäft nicht entscheiden kann. Furtwängler und Richard Strauss natürlich, sagt sie schließlich, Erich Kleiber, aber vor allem doch einem, der hier nicht hängt: Carlos Kleiber. Und natürlich Daniel Barenboim.

Mit sechzehn ging es richtig los. Alondra de la Parra ging für ein Jahr nach England auf eine Privatschule mit musikalischem Schwerpunkt, wo sie nicht nur im Kammerorchester spielte und im Chor sang, sondern auch zum ersten Mal dirigierte. Eine Rückkehr ins normale Schulsystem kam für sie danach nicht mehr infrage. Sie legte ihre Schulexamen extern ab, machte erst ein Kompositionsstudium am Centro de Investigación y Estudios Musicales in Mexiko-Stadt, um sich die analytischen Grundlagen anzueignen, und studierte anschließend Klavier und Dirigieren an der Manhattan School of Music in New York.

Ihr wichtigster Lehrer, Kenneth Kiesler, unterstützt sie bis heute. Von Simon Rattle erhielt sie die Chance, als ständige Beobachterin seiner Proben etwas zu lernen. Kurt Masur wurde ein wichtiger Mentor. "Masur war sehr hart", erzählt de la Parra, immer noch freudestrahlend. "Aber ich mag das sehr. Denn das ist es, was dich weiterbringt: Jemand, der dich an die Grenzen bringt, damit du wachsen kannst". Sie erklärt, wie Masur ihr beigebracht habe, Frustration auszuhalten, indem er sie zum Beispiel einen ganzen Meisterkurs lang nicht ein einziges Mal dirigieren ließ. Ein anderes Mal sollten die Schüler angeben, was sie beim Abschlusskonzert dirigieren wollen. Auf Alondra de la Parras Wunschzettel stand dreimal die "Pathétique"-Symphonie von Tschaikowksy. Masur aber gab ihr Mozart. Für die "Pathétique", sagte er, habe sie noch nicht genug gelitten.

Tatsächlich hat man Alondra de la Parra als Temperamentsbündel und als genuine rhythmische Begabung vor Augen, wie sie sich 2010 mit ihrer Debüt-CD "Mi alma mexicana" präsentiert hat, auf der sie Musik mexikanischer Komponisten einspielte. Das Philharmonic Orchestra of the Americas, mit dem sie diese CD aufgenommen hat, hatte sie sechs Jahre zuvor selber gegründet mit dem Ziel, junge Musiker in Nord- und Südamerika zu vereinen. Ihr Herz, erzählt sie, schlage jedoch vor allem für die Symphonik der Spätromantik und der Jahrhundertwende. Mit dem Queensland Symphony Orchestra, dessen Chefdirigentin sie seit 2017 ist, bereite sie gerade einen kompletten Zyklus der Mahler-Symphonien vor. Wie viel jugendliche Leichtigkeit und Frohsinn Mahler wohl verträgt, sei dahingestellt. Mozarts beliebter, aber mysteriöser Freimaurer-Oper könnte de la Parras entwaffnend offener, emotionaler Zugang allerdings entgegenkommen. Man darf gespannt sein.

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