Musik:Der Entdecker

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Vor 17 Jahren gründete Dieter Oehms sein Label Oehms-Classics. Nun übergibt er es in eine gute Zukunft und geht in Ruhestand

Von Egbert Tholl

Er habe, sagt Dieter Oehms, sein Soll erreicht. Da ist sehr viel Wahres dran: Oehms hat in seinem Leben mehr Klassikplatten produziert, als die meisten Menschen in ihrem Leben hören werden. Angefangen hat er 1965 als Nachwuchsverkäufer bei der Deutschen Grammophon, wurde in den Achtzigerjahren Geschäftsführer der Polygram Deutschland und daraufhin mit der Einführung der CD betraut, gründete für BMG das Label Arte Nova und brachte dort rund 700 Neuaufnahmen heraus. Darunter waren die ersten CDs von Christian Gerhaher und Gerold Huber sowie der eine Million Mal verkaufte Beethoven-Zyklus des Zürcher Tonhalle-Orchesters unter David Zinman.

Bertelsmann verscherbelte Anfang dieses Jahrtausends seinen Klassikbereich an Sony, das sah Oehms voraus und machte sich selbständig. 2002 gründete er Oehms-Classics, seit 2004 ist der Sitz des Labels in München. Im Erdgeschoss ist ein Grabsteingeschäft, im ersten Stock wird eine Zukunft der klassischen Musik erfunden. Bislang brachte Oehms-Classics an die 800 Neuproduktionen heraus. Dabei war 2002 sicherlich schon keine Zeit mehr, in der man es allgemein für eine gute Idee halten konnte, ein Klassik-Label zu gründen.

Auch Dieter Oehms hatte keinen Masterplan, aber er vertraute auf sein Gespür und seinen Enthusiasmus. Heute kann er auch sagen, ja, damals habe er mitgewirkt, den Geist aus der Flasche zu lassen. Der Geist, das waren die digitalen Aufnahmen. Man könnte auch sagen, die Einführung der CD hat zu ihrem temporären Niedergang beigetragen. Weil Musik nun eben digital vorhanden war. Zum Streaming, zu Musikhörangeboten, gefiltert nach Algorithmen, war es dann nicht mehr weit. Aber: "Ich hör' doch eine Oper nicht im Streaming!" Nein, das tut man nicht. Oehms brachte sehr viele Opern heraus. Den "Ring" mit Simone Young und der Hamburger Staatsoper, die drei frühen Wagner-Opern "Die Feen", "Liebesverbot" und "Rienzi" mit der Oper Frankfurt und Sebastian Weigle.

Überhaupt, die Oper Frankfurt. Dieter Oehms Musikverlag ist sozusagen deren Hauslabel. Mehr als 30 Gesamtaufnahmen machten sie zusammen. Oehms ist einer der Musikproduzenten, die einen sehr direkten vertrauensvollen Umgang zu den Künstlern pflegen. Mit Simone Young war er einst beim Abendessen, nach vier Stunden sagte sie zu ihm, wenn sie je den "Ring" aufnehmen wolle, dann mit ihm. Zwei Jahre später war es soweit. Später machte er noch einen Bruckner-Zyklus mit ihr, alle Symphonien, so weit möglich in der Urfassung. Es wurde Oehms' dritter Bruckner Gesamtzyklus.

Wenn man sein eigener Chef ist, kann man natürlich leichter seinen eigenen Wünschen folgen, neue Musiker entdecken. Bei einigen Produktionen wusste Dieter Oehms von Anfang an, dass sie sich nie rechnen würden. Er machte sie trotzdem, brachte dann eine sehr idiosynkratische Deutung der "Kunst der Fuge" sogar neben den CDs auf dickem Vinyl heraus. Oehms: "Man muss Kompromisse schließen im Leben, wenn es gilt, die Substanz zu erhalten, aber man darf keine schließen, wenn es an die Substanz geht." Und dann macht man halt Max Regers gesamtes Orgelwerk auf 16 CDs. Damit kommt man auch nicht unbedingt in die Charts.

Klar ist: Auch wenn sich der Klassikmarkt stabilisiert hat: "Vom Plattenverkauf allein kann kein Musiker leben." Geld bringen die Aufnahmen dennoch, oft sehr direkt: Oehms produziert die CD, gibt sie den Künstlern zu einem sehr günstigen Vorteilspreis ab, die verkaufen sie nach dem Konzert. Bei Ensembles wie Singer Pur sind das dann schon mal 100 am Abend. Jeden Abend, an dem sie singen.

Die CD ist zur sehr profunden Visitenkarte geworden. Oehms produziert aufwendig, stets stehen Liedtexte oder Libretti im Booklet, zweisprachig. Für die Opernhäuser ist so etwas auch Dokumentation, für Solokünstler das glänzende Werbemittel, das man Veranstaltern in die Hand drücken kann. "Ohne CD ist ein Künstler nicht voll da." Der Umsatz jedenfalls steigt. Es gibt keinen Grund aufzuhören, in dieser Hinsicht. Aber: "Ich bin nicht naiv, was mein Alter betrifft. Es ist meine Verantwortung für die Mitarbeiter, die Firma, meine Familie, jetzt zu übergeben." Sie haben noch Produktionen bis zum Ende des kommenden Jahres, die es zu vollenden gilt.

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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