Musik:Aus einer anderen Welt

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Glorreiches Silvester: Simon Rattle und Menahem Pressler. (Foto: Holger Keppner)

Der 90-jährige Pianist Menahem Pressler spielte beim umjubelten Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker mit Dirigent Simon Rattle.

Von Wolfgang Schreiber

Das sei so etwas wie ein Wunder, sagt Menahem Pressler vorher, ein Geschenk des Himmels - nämlich dass er im hohen Alter noch Mozart spielen dürfe mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle, im Silvesterkonzert der Berliner Philharmonie. Kaum zu glauben, aber erst im Januar 2014 hatte Pressler dort, mit 90 Jahren, seinen Debütauftritt als Klaviersolist.

Ein Phänomen - der springlebendige Geist, die immer noch flinken Finger. Mehr als fünf Jahrzehnte spielte Pressler rund um den Erdball Kammermusik von Haydn bis Schostakowitsch, in Hunderten Konzerten als Pianist des 1955 mit ihm gegründeten Beaux Arts Trios. Als das legendäre Ensemble 2008 aufhörte, stieg Pressler allein in die Manege des Musikzirkus. Bis 2016 sei er ausgebucht, vermerkt der alte Mann mit Vergnügen, als Solist und als Kammermusiker in Europa und den USA, wo er sein Zuhause hat.

Das Silvesterkonzert war denkwürdig. Presslers Musizieren, wie sein Wanderleben durch die Musikwelten, hat Symbolkraft. Der kleine Mann, 1923 in Magdeburg geboren, der da bedächtigen, ein bisschen zögerlichen Schritts das Podium betritt und freundlich ein paar Musiker per Handschlag begrüßt, musste als Jude Deutschland verlassen. 1939 ging er nach Israel, Familienmitglieder wurden Opfer des Holocaust. Pressler studierte in den USA, übernahm später in Bloomington, Indiana, eine Professur und gründete sein Klaviertrio. Der US- und israelische Staatsbürger erhielt 2012 auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Wer das Silvesterkonzert in der Berliner Philharmonie, mit Standing Ovations, erlebt oder live im Fernsehen verfolgt hat, konnte beobachten, wie dieser "dienstälteste" Pianist der Welt von der Musik belebt, wie er von ihr quasi weitergetragen wird. Pressler gibt mit Mozarts Klavierkonzert in A-Dur KV 488 eine Lektion persönlich empfindenden Musizierens. Und das "kommt aus einer anderen Zeit", wie Simon Rattle im TV-Interview feststellt.

Tatsächlich: Der gewiefte Kammermusiker, der seine Noten selbst umblättert und während des Spiels blitzenden Auges Kontakt zum Dirigenten hält, erreicht mit seinem Klavierspiel die Eleganz wie die Tiefe dieser Musik. Ein Meister musikalischer Zuwendung: Pressler spielt, nein "spricht" geradezu mit Mozarts Tönen, mit größtem Bedacht. Höhepunkt der Adagio-Satz in der romantischen Tonart fis-Moll, der den Pianisten an die Grenze zur Entrückung führt. Menahem Pressler sei doch wohl "der älteste Teenager der Welt", sagt Simon Rattle. So einer könnte er, der nun 60-jährige Dirigent, fast selbst einmal werden. Denn wie Rattle zu Beginn des Silvesterkonzerts Jean-Philippe Rameaus Suite zum Ballett der "Edlen Inder" barockfarben blühen ließ, wie er nach dem Mozart zwei Slawische Tänze von Antonín Dvořák und am Ende Zoltán Kodálys Háry-János-Suite mit Berlins blendend aufspielenden Philharmonikern anheizte - es sorgte dafür, dass sogar die Bundeskanzlerin in Großaufnahme glühende Wangen zu erhalten schien.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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