Museumspolitik:Leitung als Leerstelle

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Dass die Stelle des Direktors der Nationalgalerie fürs Erste vakant bleibt, hat gleich mehrere gewichtige Gründe. Die Stadt Berlin verspielt damit aber eine einzigartige Chance.

Kommentar von Catrin Lorch

Es ist einer der profiliertesten, wichtigsten Posten der deutschen Museumslandschaft: die Stelle des Direktors der Nationalgalerie in Berlin. Doch die wird vakant bleiben, wenn Udo Kittelmann in wenigen Wochen ausscheidet. Die einzige Personalie, die dazu bekannt gegeben wurde, ist die Berufung von Joachim Jäger, Chef der Neuen Nationalgalerie, zum "kommissarischen Leiter". Lassen Kulturpolitiker und Kunstbehörden ihre Aufgaben schleifen? Wer sich umhört, muss jedenfalls dieser Tage zu dem Schluss kommen, dass - ein Jahr nachdem der profilierte Kittelmann seinen Rücktritt angekündigt hat - ein Nachfolger nicht einmal gesucht wird.

Das könnte daran liegen, dass der Posten derzeit nicht wirklich attraktiv ist: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Dachorganisation der Berliner Museen, hat sich nach einem kritischen Gutachten eine mehrjährige Findungsphase verordnet. Die Diskussionen um die Kosten für den Neubau eines Museums der Moderne am Kulturforum reißen nicht ab. Der für die zeitgenössische Kunst so wichtige Standort Hamburger Bahnhof ist gefährdet - das sind viele Baustellen. Zudem sind die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Budgets der Museen und Kunsthäuser noch kaum abzusehen, wie soll da mit Kandidaten über Konzepte und Etats verhandelt werden?

Doch verspielt man in Berlin eine einzigartige Chance: Statt resignativen Stillstands könnte man den Glamour einer Spitzen-Berufung an der Spree schon brauchen. Um so eine Person zu finden, müsste die Politik die Berufung allerdings professionell gestalten - was bedeutet, dass man die Autorität an eine klug berufene Findungskommission abgibt, die, international besetzt, weltweit nach Kandidaten sucht. Das wäre wirklich ein Zeichen in einem Land, in dem man die ausländischen Museumsdirektoren an einer Hand abzählen kann und noch immer mit Erstaunen konstatiert, dass Deutsche nach Florenz, London und New York abwandern. Die zähen Berliner Diskussionen um Baukosten, Stellenkürzungen, Standortpolitik und das vermurkste Humboldt-Forum kann man aussitzen - oder auf die Strahlkraft eines Kuratoren-Stars vertrauen, der ihnen an herausragender Stelle mit wirklich zeitgenössischer Arbeit begegnet.

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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