Museumsdebatte:Kunst kommt von Konflikt

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Weil Philip Guston wie auf "Riding Around" (1969) oft Ku-Klux-Klan-Mützen malt, wurde eine geplante Retrospektive auf 2024 verschoben. (Foto: dpa)

Eine abgesagte Philip-Guston-Retrospektive, ein Meisterwerk von Michelangelo als Geldbringer: Die Museen müssen ihre Künstler gegen Buchhalter und zaudernde Opportunisten verteidigen.

Von Catrin Lorch

Das hier ist eine Kündigung. Kaywin Feldman, Frances Morris, Matthew Teitelbaum und Gary Tinterow, bitte räumen Sie ihre eleganten Büros in der Tate Modern, der National Gallery oder die repräsentativen Etagen der Kunstmuseen in Boston und Houston. Der Grund dieses Schreibens? Sie haben als Direktoren bedeutender internationaler Museen fahrlässig und verantwortungslos gehandelt. Sie haben ihre Prioritäten falsch gesetzt und einen Künstler und sein Werk schwer beschädigt.

Die Kündigung ist natürlich nur eine Fantasie. Aber es wird Zeit, die Verantwortlichen zu benennen in einem Skandal, der mehr ist als einer der vielen Aufreger der international vernetzten Kunstwelt: Die Absage der Ausstellung "Philip Guston Now" kurz vor der Eröffnung ihrer ersten Station in der Washingtoner National Gallery ist der Anlass. Die Retrospektive des Malers sei verschoben auf das Jahr 2024, teilten die vier beteiligten Museen mit. Das sei notwendig, weil im aktuellen politischen Klima die Gefahr bestehe, so eine Sprecherin der National Gallery, dass die Ausstellung "falsch interpretiert werde und die Gesamtheit des Werks überschatten" könne, man wolle "schmerzhafte Erfahrungen" vermeiden.

Es ist zu vermuten, dass die Direktoren sich vor Protesten der "Black Lives Matter"-Bewegung fürchten. Zu den Motiven des im Jahr 1913 geborenen Malers gehören im Cartoon-Stil gemalte Ku-Klux-Klan-Männchen. Man wolle warten, bis die "Botschaft sozialer und rassischer Gerechtigkeit", die im Zentrum des Werks stünde, "deutlicher herausgelesen" werden könne.

Der Kunsthistoriker Robert Storr, dessen Biografie zum Leben des Künstlers gerade erschienen ist, prägte schnell die Formel von der "Feigheit der Museen". Seinem Protest haben sich inzwischen Künstler aus der ganzen Welt in einem offenen Brief angeschlossen. Sie lesen die Gemälde nicht als Verharmlosung und Verherrlichung eines rassistischen Geheimbundes - sondern als Kritik des Rassismus als omnipräsenter Alltäglichkeit in den Vereinigten Staaten. Zu den Unterzeichnern des Briefs, der in The Brooklyn Rail veröffentlicht wurde, gehören Stars wie Matthew Barney, Nicole Eisenman, Lorna Simpson und Adrian Piper. Sie schließen sich dem Statement der Tochter des 1980 gestorbenen Künstlers, Musa Mayer, an, die schrieb, ihr Vater habe es gewagt, "dem weißen Amerika einen Spiegel vorzuhalten und so die Banalität des Bösen und systemischen Rassismus zu entlarven".

Dass die Ausstellung geplatzt ist, daran besteht derzeit kaum ein Zweifel. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass die konfliktscheuen Museumsdirektoren noch einmal Zugriff auf dieses Œuvre erhalten, dass Leihgeber, Sammler, die Familie sich für Museen starkmachen, die dafür verantwortlich sind, dass der Name Philip Guston mit einem Makel "womöglich rassistisch beleidigend" behaftet ist.

Kunst, die als museumswürdig gilt, muss den Geldkreisläufen für immer entzogen sein

Das gleiche Kündigungsschreiben ginge an diesem Montag übrigens noch an eine zweite Londoner Adresse: die Royal Academy. Auch wenn der Name der Verantwortlichen noch ermittelt werden muss, die Person noch nicht gefunden wurde, die sich mit dem Vorschlag hervortat, die altehrwürdige Institution solle in der aktuellen Krise - das Haus wird wegen der Corona-Beschränkungen in diesem Jahr wohl drei Viertel seiner Einnahmen aus Eintritten verlieren - darüber nachdenken, das Marmorrelief Taddei Tondo zu verkaufen, ein Werk des Renaissance-Bildhauers Michelangelo Buonarroti. Mit dem Erlös ließen sich 150 Kündigungen vermeiden.

Klingt das, als habe es nicht viel mit dem Streit um Philip Gustons Mützenmännchen zu tun? Aber ja: Denn auch in der Royal Academy hat man vorschnell den Namen eines Künstlers zur Disposition gestellt. Sein Relief - einmal in die Währung der Mitarbeiterstellen umgerechnet - wird man so schnell nicht wieder aus der Diskussion holen können. Heute sind es die Kündigungen, gegen die das Relief verrechnet wird, morgen die Renovierung der Royal Academy an der vornehmen Piccadilly Street, übermorgen die Rechnung für die Reparatur der Klimaanlage ...

Der Verkauf der eigenen Sammlung ist etwas, gegen das sich ein Museum aus Prinzip wehren muss. Die Kunst in den Sälen und den Depots ist mehr als irgendein Aktivposten in der aktuellen Bilanz. Hat man erst einmal einen möglichen Verkaufspreis in die Welt gesetzt, lässt er sich kaum wieder aus den Finanzplänen herausrechnen. Und für die Arbeit der Kunstmuseen ist es eine Voraussetzung, dass die Kunst, die man als museumswürdig geadelt hat, den Geldkreisläufen für immer entzogen ist. Nur dann kann ein Kurator einen Michelangelo unbefangen mit einem Raffael konfrontieren und debattieren, wer bedeutender, raffinierter, ästhetisch wertvoller ist. Denn die intellektuelle Debatte berührt dann eben nicht die Bilanz.

Und wie soll ein Museum, wie sollen künftige Kuratoren jetzt noch mit Philip Guston arbeiten, wenn ihm jetzt von höchster Stelle - von vier Museumsdirektoren, davon drei aus seinem Heimatland, den USA - attestiert wird, dass seine meist in changierende Rosatöne getauchte Malerei womöglich nicht frei von Rassismus ist? Wie der Tondo von Michelangelo wurden die Gemälde von höchster Stelle als Zielscheibe freigegeben.

Die konfliktscheuen Museumsdirektoren verbauen übrigens nicht nur der Kunst, sondern auch ihren Institutionen die Zukunft. Wie soll die Öffentlichkeit, wie sollen Mäzene wieder an das auf Ewigkeit zielende Versprechen der Museen vertrauen, wenn die Kunst, die man so berühmten Häusern anvertraut, vorschnell preisgegeben wird? Es ist abzusehen, dass infolge der Pandemie eine gewaltige Finanzkrise vor allem öffentliche Haushalte belasten wird. Wenn schon die Royal Academy an deren Anfang ihre Kollektion zur Disposition stellt, wie sollen dann kleinere Museen ihre weniger prominenten Schätze verteidigen.

Die Zukunftsvorstellungen der vier Institutionen, die sich mit der Selbstzensur der Philip-Guston-Retrospektive der Diskussion entzogen haben, sind noch haltloser. Zum einen muss man sich fragen, ob sie sich in dem Beschwören einer weniger aufgeheizten Atmosphäre womöglich ein Abklingen der "Black Lives Matter"-Bewegung erhoffen, eine Zeit, in der deren Fragen wieder in den Hintergrund treten.

Am Ende leidet nicht nur die Kunst, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Institutionen

Vor allem aber ist es erstaunlich, dass man die Direktoren von Kunstmuseen offensichtlich daran erinnern muss, dass sie sich - sei es in ästhetischen Debatten oder bei finanziellen Schwierigkeiten - vor die Kunst zu stellen haben. Dass sie vor allem der Kunst und den Künstlern verpflichtet sind, dass ihre ureigenste Aufgabe die Bewahrung von Kunstwerken ist. Es wird noch mehr Streit, Kampf, Polemik geben. Und Geld? Erst einmal keins. Die Hoffnung für die Zukunft ist, dass Gustons Gemälde und Michelangelos Tondo irgendwie durchkommen, von den Nachfolgern der gegenwärtig Amtierenden besser geschützt werden.

Und was die Kündigungen angeht - hier noch eine Erinnerung an Kaywin Feldman, Frances Morris, Matthew Teitelbaum und Gary Tinterow: Bitte vergessen Sie nicht, Ihre persönlichen Gegenstände beim Verlassen der Büros mitzunehmen. Der gerade erschienene Katalog "Philip Guston Now", an deren Entstehung Sie beteiligt waren, gehört ausdrücklich dazu. Als Erinnerung an eine - mühsam erkämpfte - Freiheit der Kunst, die Sie eigenhändig abgewürgt haben.

© SZ vom 05.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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