Münchner Kammerspiele:Die Drei von der Tanzstelle

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Felix Rothenhäusler hat ein Video des Künstlers Ryan Trecartin adaptiert. Aus dem Gequassel von Teenager-Avataren wurde ein ultraschnelles Sprachballett.

Von Egbert Tholl

Als der amerikanische Videokünstler Ryan Trecartin im Jahr 2014 in Berlin seine erste große Ausstellung in Deutschland eröffnete, deklarierten die Kuratoren seine Kunst zur "Post Internet Art" und waren erfreut, dass endlich ein im weitesten Sinne bildender Künstler sich mit dem Medium beschäftigt, das gleichzeitig lebensbestimmend, omnipräsent und nicht zu fassen ist. Zwar ist Trecartin 1981 geboren und mithin dem Alter der Netzbewohner, die er auf Horrortrips der ulkigeren Art besucht, bereits entwachsen; doch die weitgehend ironiefreie Unverbrüchlichkeit, mit der er junge Menschen filmt, deren ausschließliche Lebensrealität virtuell zu sein scheint, macht ihn zum Kronzeugen einer sehr fremden Welt.

Die sieht im Video "The Re'search", 2010 entstanden und nun von Felix Rothenhäusler für den Werkraum der Münchner Kammerspiele adaptiert, folgendermaßen aus: Junge Menschen, gerade noch im Teenageralter, ein bisschen geschminkt wie Avatare ihrer selbst, quasseln unentwegt in eine Wackelkamera, was so wirkt, als zappe man in eine Super-RTL-White-Trash-Dokushow im Stile von "Blair Witch Project" auf LSD und im schnellen Vorlauf. Entsprechend hoch sind die quiekenden Stimmen, worum es geht, außer um Hysterie, weiß man nicht. Sieht man das Video vor der Aufführung an den Kammerspielen, schwant einem ein Albtraum.

Der Text klingt nach Twitter. Die Schauspieler performen in Hochgeschwindigkeit

Doch dann kommt alles ganz anders. Wer will, ist im Werkraum erst einmal eine Stunde allein mit sich und vielleicht bereits vorhandenen Zuschauern und schaut sich selbst und die anderen auf einer Spiegelwand an. Dann kommen drei Schauspieler auf die Bühne, gekleidet in enge, schwarze Gymnastikanzüge, von denen sie Teile im Laufe der folgenden Stunde verlieren werden, und es hebt ein Sprachballett der virtuosesten Art an.

Brigitte Hobmeier, Julia Riedler und Thomas Hauser nehmen den Text des Videos als Sprechpartitur. In seiner Verschriftlichung sieht er aus wie viele Seiten Twitter-Nachrichten, die man in Farbe ausgedruckt und aufgemotzt hat mit viel grafischen Irrsinn. Die drei Schauspieler performen den Text in Hochgeschwindigkeit. Sie bilden Wörter und auch einzelne Silben mit ihren Körpern nach, sie zerschneiden die Worte, auf dass ein Sinn kurz stehen bleibt, der gleich wieder in eine ganz andere Richtung läuft, alles wird im Moment "anal" - Pause - "lysiert". Ja es geht um Sex, das auch, aber keine der Figuren wird je Sex haben. Es gibt keine Eigentlichkeit mehr, die Cleverness des Sprachspiels genügt allein sich selbst. Keine Handlung, keine Inhalte, keine Geschichte, keine Information. Aber ausgezeichneter Irrsinn, von den dreien mit rasantem Witz und, anders als bei Trecartin, auch mit viel Ironie, Genöle und einem flirrenden Wirrwarr aller möglichen Sprechhaltungen dargeboten. Man könnte sich denken, die Vorstellung sei so etwas wie eine Bandprobe, und von irgendwoher kommt dann auch Musik.

Am Ende ist man leer, oder eher voll mit nichts, hat viel gelacht über die drei, die wirkten wie Buster Keaton auf Amphetamin, und fragt sich, ob das jetzt die kommende Realität der Kommunikation war oder, je nach Alter, ein Menetekel des Verfalls. Wie auch immer: Rothenhäuslers Show rauscht brillant durch.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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