Theater:Tolles Traumspiel

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"Würgen des Fasans" in der Reaktorhalle

Von Egbert Tholl, München

Blanka Rádóczy ist jung, aber nicht mehr ganz so blutjung, wie man es erwarten würde, wenn eine ihre Abschlussinszenierung präsentiert. Das liegt daran, dass sie, bevor sie an der Bayerischen Theaterakademie begann, Regie zu studieren, Bühnenbild studiert und auch drei Jahre als Bühnenbildnerin gearbeitet hatte. Das merkt man, denn sie verfügt über eine verblüffende Virtuosität, zuerst ihre eigenen Bühnenwelten zu erfinden und diese dann mit den Darstellern zu füllen. Nie hat sie dabei simple Lösungen im Sinn, vielmehr hat sie bereits eine echte, eigene, ja sogar unverwechselbare Handschrift gefunden, die psychologische Genauigkeit in formale Präzision überführt. Oder einfach gesagt: Ihre Inszenierungen sind Kunstwerke.

Im dritten Jahr ihres Studiums adaptierte sie Pasolinis Film "Teorema" für die Bühne und gewann damit im Frühjahr dieses Jahres den Publikumspreis beim Körber Studio Junge Regie in Hamburg. Sie hätte damals auch den Preis der Jury gewonnen, wäre sie nicht so konziliant gewesen, im Sinne einer leichteren Vermittlung der Geschichte die Strenge der von ihr entworfenen, stummen Abläufe von der Mitte der Aufführung an aufzulösen. Damals war sie auf gutem Weg zu einem Meisterwerk, das sie nun mit ihrer Abschlussinszenierung nachreicht.

Wieder ist die Vorlage ein Film, wieder ist der keine leichte Kost. 1968 drehte Ingmar Bergman "Die Stunde des Wolfs" - gemeint ist jene Stunde der Nacht, in der die meisten Menschen sterben. Es ist ein Film über ein Paar, das sich in der Einsamkeit einer Hütte abhanden und sich gleichzeitig in Erinnerungen, Träumen und Fantasien unendlich nahe kommt. Rádóczy nimmt Motive daraus, vermengt sie ungeheuer souverän mit Roland Barthes' "Fragmente einer Sprache der Liebe" und überführt ein Wissen über die Liebe in den von ihr in der Reaktorhalle geschaffenen Raum in Bilder, die manchen vielleicht an die Werke des belgischen Surrealisten Paul Delvaux erinnern mögen, ohne allerdings in der Kunstgeschichte aufzugehen. Sie hat die wunderbare Natalina Muggli, die mit einem zehrenden Strahlen von der Liebe und der Erinnerung daran spricht, während um sie herum sich Menschen und Musiker stumm und tönend begegnen, Traumgestalten eines tollen Spiels, das vom Schrecken und vom Schönen kündet, das jeder vergessen in sich trägt.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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