Es gibt diesen Moment am Bahnsteig, wenn plötzlich im Blickfeld etwas zuckt. Ein kleines Wesen, eine graue Maus, flitzt durchs Gleisbett. Achtung, das könnte ein Erfinder sein, denkt sich, wer die Bücher von Torben Kuhlmann gelesen hat. Der Autor und Zeichner hat sich darauf spezialisiert, die Genialität von ansonsten im Erdreich herumwuselnden Tieren zu beleuchten. Als Liebhaber von Animationsfilmen denkt man beim ersten Blick vielleicht: wie langweilig. In den digitalen Tierwelten geben sich ja gerade erfinderische, kreative und superschlaue Nager und Säuger die Klinke in die Hand. Und auch in Bilderbüchern ist kein Mangel an felltragenden Intelligenzbestien.
Nach den ersten Seiten der Lektüre versteht man allerdings, warum das Debüt-Werk von Kuhlmann namens Lindbergh mittlerweile in 20 Sprachen übersetzt und mit Preisen überhäuft wurde. Und warum Armstrong vermutlich ähnlich erfolgreich sein wird. Im Stile einer Graphic Novel wird die Geschichte der Luftfahrt ( Lindbergh) oder der Raumfahrt ( Armstrong) aus der Mäuseperspektive Bild für Bild erzählt. Man hat - im Gegensatz zu den immer schneller geschnittenen Animationsfilmbildern - genug Zeit, die wunderbar gewitzten Skizzen und Entwürfe zu betrachten.
Kuhlmann lässt seine Mäuse die Fluggeräte und Raketen außerdem aus all dem zusammenbauen, was man bei den Menschen so klauen kann, und was auch dem Leser eine diebische Freude bereitet. Ein Autoscheinwerfer wird so zur Mäuse-Raumkapsel, ein Tintenglas zum Kopfteil des Raumanzugs. Und man wird immer wieder Zeuge, wie die ersten Versuche grandios scheitern und wie die Mäuse ganz von vorne anfangen müssen, um ihrem Traum doch wieder ein Stück näherzukommen.
Nun hört sich das an, als seien das nett gezeichnete Wer-Wie-Was-Bücher über Luft- oder Raumfahrt. Sind es aber nicht, weil die Mäuse ihre Erfindungen unter Hochdruck machen müssen. Bei Lindbergh verfolgen Katzen den kleinen Pionier durch die Kanalisation, Eulen jagen ihn durch die Lüfte. Nach der Raketenmaus läuft eine Großfahndung. Sie rettet sich gerade noch vor Polizisten und scharfen Hunden. Das gibt den Geschichten das nötige Tempo, manche Bildfolgen sind wie Comics zu lesen.
Das wäre vielleicht auch die einzige Kritik, die man an Armstrong üben kann. Hier geht alles etwas schnell. Zeichnete Kuhlmann bei Lindbergh noch viele Schritte der Luftfahrtgeschichte vom Hängegleiter bis zum Motorsegler nach, so ist die Maus bei Armstrong schon im dritten Versuch auf dem Weg zum Mond. Zisch und weg.
Eine große Erkenntnis zeichnet Kuhlmann dafür aber wundervoll in die Geschichte der Mäusemondfahrt hinein: Das Genie wird die meiste Zeit seines Lebens verkannt. Als die Maus versucht, ihre Artgenossen über den riesigen steinernen Himmelskörper aufzuklären, erntet sie nur Kopfschütteln. Eine Maus müsse doch wissen, dass der Mond ein riesiger Käse sei. Mit Löchern. (ab 5 Jahre)
Torben Kuhlmann: Armstrong. Die abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond. NordSüd 2016. 128 Seiten, 19,99 Euro.