Möbelkunst:Heiter bis rosarot

Die gute alte Mailänder Zeit, als Italien bunt und freundlich war und Cerruti den Männern Stil verpasste: Der Auktionsmarkt entdeckt das Design-Traumland des 20. Jahrhunderts.

Von Alexander Hosch

Während im politischen Italien die Realität immer dunkler wird, weil der Innenminister Salvini als geistloser Horrorclown durchs Land tobt, entdecken im Ausland die Auktionshäuser das helle und leuchtende Design-Traumland, das Italien einmal war. Witzig, verspielt, einfallsreich. Die seit den Fifties zwischen Turin, Monza und Bologna entworfenen Alfa Romeos, Ferraris und Lamborghinis werden ja seit jeher maximal begehrt. Aber rock'n'rollende PVC-Sitzmöbel wie Joe Colombos "Tube Chair" von 1969 oder die popbunte "Valentine"-Schreibmaschine gelten erst seit Kurzem als kaufwürdige Klassiker. Aus den 1980er-Jahren kommen die Entwürfe der Memphis-Ironiker in Signalfarben dazu. Solche Sehnsuchtsmotive legen die Versteigerer ihren Bietern derzeit verstärkt in die analogen und digitalen Auslagen.

Warum jetzt? Natürlich nicht aus sozialen oder politischen Gründen. Es liegt eher daran, dass der internationale Designkunstmarkt momentan den großen Jahren nachjagt und sich beim Monopoly mit hochpreisigem französischem Art déco und skandinavischem Midcentury-Design kaum noch Rekorde erzielen lassen. So führt die Suche immer öfter in jene Mailänder Zeit, als Couturiers wie Nino Cerruti der Männerwelt plötzlich pastellbunte oder lachsfarbene Anzüge nahelegten, und Ettore Sottsass sich, obwohl auch damals schon ein Senior, ein rosarotes Haarband um den Pferdeschwanz knotete.

Ende Oktober hat Artcurial in Paris 1,2 Millionen Euro für 65 Toplose mit Arbeiten von just diesem Sottsass eingespielt. Das ist kein Sensationsergebnis, aber ein sehr solider Zuwachs für rare Keramiken (eine emaillierte Vase in Knallfarben ging erst für 81 900 Euro weg) oder für das glamouröse Bett "Elledue", das 1970 als Schlafstatt der Zukunft bei der Edition Poltronova gebaut wurde. Für dessen Abtransport wird der europäische Sammler, der dafür rund 170 000 Euro bewilligte, einen Extra-Lastwagen gebraucht haben - ähnlich wie der neue Besitzer des monumentalen "Carlton"-Regal-Prototyps, der für 32 500 wegging. Der postmoderne Star Sottsass wurde also mit seinen Möbeln, Leuchten, Spiegeln, Glasvasen, Porzellanobjekten, einer Tischuhr, aber auch mit Gemälden und Skizzen erstmals in einer Solo-Auktion präsentiert. Der Architekt und Designer - ein ironischer Tausendsassa, der Bewegungen wie Alchimia und Memphis gründete - arbeitete für große Unternehmen wie Olivetti, hatte aber auch früh eine Vorliebe für kleine Manufakturen, die seine Galerieeditionen oder Miniauflagen produzierten. Wie Poltronova in Pistoia oder Arredoluce in Monza.

"Kennen Sie Bracciodiferro?", fragt Fabien Naudan, Vizechef von Artcurial und selbst Sammler, in der Pariser Zentrale des Versteigerers. "Dieses Label war zwischen 1971 und 1975 eine Art Labor innerhalb des Entwicklungszentrums von Cassina. Stars wie Gaetano Pesce und Alessandro Mendini entwarfen dafür gänzlich eigenständige Preziosen. Weder in Frankreich noch in Deutschland gab es in den Sixties und Seventies ein vergleichbares Phänomen. Dort gingen kleine Manufakturen immer wieder rasch pleite. In Italien aber klappte es wunderbarerweise. Das ist einzigartig".

Vor allem rund um Mailand existierten viele kleine Unterfirmen, unabhängige Kleinhersteller oder von Designern selbst gegründete Marken. Sie heißen Stilnovo, Oluce, Fontana Arte, Arteluce, Dino Gavina, Azucena - um nur ein paar zu nennen. Und von ihren Vintagemöbeln sind noch viele in der Welt. Manche werden auf Auktionen schon richtig teuer, andere bleiben bei Ikea-Preisen hängen. Auch deshalb wird Artcurial künftig stärker auf italienisches Design setzen, kündigt Naudan an.

Beim Design-Sale des Hauses Ende November kamen die Lose 79 bis 127 aus Italien - fast die Hälfte des Angebots. Es gab erstaunliche Ergebnisse für Möbel und Spiegel von Ponti, Scarpa & Co wie für feingliedrige Lampen von BBPR , Max Ingrand und Gino Sarfatti. Mit den Preisen für Lalannes Tierleuchten (182 000), Georges Jouves Vasenskulpturen (über 90 000) und andere teure Art-deco-Franzosen können die Italiener allerdings noch nicht mithalten.

Möglicherweise hat Christie's vor zwei Jahren den Startschuss für die neue Italienoffensive gegeben. Damals, im Oktober 2016, wurde in London dem gar nicht so berühmten Entwerfer Carlo de Carli (1910-1999) gleich eine halbe Designauktion gewidmet. Sie enthielt seine 1948 für das Mailänder Privathaus Casa Galli entstandenen Tische und Schränke sowie Sessel aus Sperrholz mit bunten Polstern. Die von Künstlerfreunden wie Lucio Fontana und Fausto Melotti beeinflussten Möbel erlösten bis zu 75 000 Pfund, manche Lose übertrafen siebenfach ihre Taxe.

Auch der Münchner Designspezialist Quittenbaum fokussierte vor Kurzem auf eine einzelne Manufaktur. Vor ein paar Wochen war die Sammlung Mieke und Jan Teunen mit Leuchten, Aschenbecher und Tischgerät ein Glanzpunkt jenes Saals, der alljährlich dem italienischem Design gewidmet ist. Alle Einlieferungen stammten aus der Produktion der Firma Danese, 1957 in Mailand gegründet. Sie stellte vor allem Werke von Enzo Mari und Bruno Munari her - rätselvolle Lampen, Mobiles, Holzpuzzles und Multiples in Auflagen von 50 bis 100 Exemplaren. Die höchsten Zuschläge erzielten Maris "24 Kuben" mit 8 000 Euro sowie Munaris kinetisches Objekt "Tetracono SM" mit dem Hammerpreis von 8 700 Euro.

Oft knabbern die italienischen Designer verspielt am Heiligenschein der Kunst. Das ist die zweite Italo-Spezialität. Sottsass' pinkfarbener Zeitschriftenständer von 1955 aus eloxiertem Aluminium sieht eigentlich wie eine surrealistische Luxushandtasche aus. Und Mari und Munari entwarfen für Danese ohnehin die ganze Zeit nichts anderes als Kleinskulpturen, die - quasi als Nebeneffekt - den Raum erleuchten oder sich durch ihn hindurch bewegen.

Als nächstes stehen bei Quittenbaum am 11. Dezember schon wieder kinetische Objekte und Plexisglaskuben von den beiden zum Verkauf: Schätzpreise ab 1 500 Euro. Künstlerisch besonders sind auch die an Planeten erinnernden Stehleuchten "Polifemo" (6 500-7 000) und "Cobra" (2 500-3 000), die Angelo Lelli um 1960 bei Arredoluce produzieren ließ, sowie eine neongelbe Acrylleuchte von Superstudio, ein Poltronova-Unikat (3 500-4 000). Auch in der Auktion "Schools of Design", die 162 Lose aus aller Welt umfasst, stammt mehr als ein Drittel der Offerte aus den Möbelschmieden südlich der Alpen. Unter den italienischen Hauptlosen befinden sich eine Kommode von Gio Ponti (30-40 000) und Franco Albinis Schreibtisch mit Rollcontainer für Poggi, eine Firma aus Pavia (8-12 000). Phillips feiert den neuen Italienhype am 13. Dezember in seiner New Yorker Designauktion mit zwei winzigen Bettablagen von Carlo Mollino, die 150 000 bis 250 000 Dollar einbringen sollen.

Am Ende weiß der Beobachter kaum, was er sich mehr wünschen soll: dass es bald wieder jenes florierende Wirtschaftswunder-Italien gibt, in dem so geniale Möbelbetriebe existierten. Oder dass man ein paar der unbekümmerten Leuchtkörper und Wohnkunstwerke, die im 20. Jahrhundert zwischen Turin, Como, Mailand, Venedig und Bologna entstanden sind, für sein Zuhause ergattern kann.

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