Modern Talking:Polendisko

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Zugegeben: Die Deutschen sprechen meist despektierlich von Thomas Anders und Dieter Bohlen. Vor allem über ihre Musik. - Aber was wissen die schon? In New York bejubeln Russen, Mongolen und Vietnamesen "Modern Talking" als größte deutsche Band aller Zeiten.

Andrian Kreye

Kürzlich spielten Modern Talking gemeinsam mit der Kölner Gruppe Bad Boys Blue im New Yorker Hammerstein Ballroom. Ohne Dieter Bohlen natürlich, der verkehrt mit seinem ehemaligen Partner Thomas Anders nur noch per Anwalt.

Ein Bild aus glücklichen Tagen: Anders (noch mit Nora-Kettchen) und Bohlen. (Foto: Foto: AP)

Das war auch so angekündigt: "Modern Talking featuring Thomas Anders", stand auf den Plakaten, die seit Wochen in den Schaufenstern der russischen und polnischen Gemischtwarenläden in der Bronx hingen.

Schon bei ihrem letzten Amerikabesuch spielten Modern Talking ohne Bohlen, das war 2003 bei einem Konzert in Donald Trumps Kasino in Atlantic City. Anders' Alleingang war laut Bohlens Autobiografie der Auslöser für die Trennung der wiedervereinten Modern Talking gewesen, aber hier soll es nicht um die Details eines hysterisierten Scheidungsverfahrens gehen, sondern um einen Abend, an dem sich feststellen ließ, warum Modern Talking die wichtigsten Popstars der deutschen Geschichte sind, auch wenn sich nicht ein einziger deutscher, geschweige denn amerikanischer Konzertbesucher im Hammerstein Ballroom einfand. Aber genau das ist der Punkt.

Lederjacken und Schnauzer

Viele Polen waren gekommen, viele Russen, vorne an der Bühne standen vietnamesische Gangsterboys mit Stachelfrisuren und an der Bar lungerten einige Mongolen herum. Bis auf die Vietnamesen und Mongolen war das Publikum eher mittleren Alters, keiner sprach akzentfrei, was den Eindruck bestätigte, dass sich hier die Einwanderer zusammengefunden hatten.

Die Herren trugen Lederjacken und Schnauzer, die Damen die Röcke eher kurz, die Haare eher wasserstoffblond. Radikal osteuropäischer Unterschichtenschick eben, vor dem sich niemand so fürchtet wie das westeuropäische Bildungsbürgertum, das die kulturhistorische Bedeutung von Modern Talking lieber verdrängt.

Soundtrack der Verheißung

Schon beim Vorprogramm, das einer der ursprünglich drei Bad Boys Blue alleine bestritt, hatte sich die erste Polonäse gebildet. So gesehen klang der Jubel, der durch den Saal röhrte, als Thomas Anders die Bühne betrat, wie das Kriegsgeheul popkultureller Hunnenhorden beim Sturm auf die Bastionen des guten Geschmacks.

In Wahrheit klang der Jubel aber genauso frenetisch wie immer, wenn ein Star aus der Heimat bei einem Besuch in Amerika vor die Diasporagemeinde tritt. Und für das osteuropäische Publikum waren Modern Talking nicht nur musikalische Botschafter aus der Heimat, sondern die Erinnerung an eine Zeit der Verheißungen.

Er sei etwas nervös, sagte Thomas Anders, nachdem er zwei Lieder von seinem Soloalbum gesungen hatte, die niemand hören wollte, weil natürlich alle auf die alten Hits warteten. Es sei sein erster Auftritt in New York. Prinzipiell ist der Hammerstein Ballroom kein schlechter Konzertsaal. 2500 Zuhörer finden hier Platz, die Akustik ist noch im dritten Rang hervorragend und die Stuckaturen verleihen dem Raum einen Hauch von verblasstem Luxus.

"Sonderveranstaltung"

Normalerweise spielen im Hammerstein all jene, die zu hip, zu alt oder zu exotisch sind, um in Amerika richtig Erfolg zu haben. Air zum Beispiel, New Order oder Robbie Williams. Modern Talking sind allerdings so exotisch, dass sie auf der Webseite des Hammerstein Ballroom nicht bei den Konzerten aufgelistet waren, sondern bei den "Sonderveranstaltungen" zwischen der Handelsmesse für moslemische Importeure und dem Festival koreanischer Schlagerstars.

Das ist zwar nicht gerade das standesgemäße Debüt für Weltstars, die mit 120 Millionen verkauften Alben eigentlich in eine Kategorie mit U2 und den Bee Gees gehören, dafür lieferte der Abend trotz des kläglichen Rahmens die musikalische und politische Erklärung für das Phänomen Modern Talking.

Polit-Botschaft

Die politische Erklärung liegt in den Anfängen der Gruppe Mitte der achtziger Jahre. In den kommunistischen Ländern waren Modern Talking das unbedenklichste Symbol für die Sehnsucht nach dem kapitalistischen Westen. Sie standen nicht für die Rockmusik und damit für Amerika, das zu der Zeit nicht nur ein ideologischer Feind war, sondern immerhin Atomraketen auf die Staaten des Warschauer Pakts gerichtet hatte, sondern für den Westen des geteilten Deutschlands.

Da gab es zwischen einer rebellischen Grundhaltung gegen das eigene Regime und dem Fraternisieren mit dem nuklearen Feind für die Jugend von Warschau bis Ho Chi Minh City auch im Pop einen gewaltigen Unterschied.

Einen ähnlichen Unterschied machten während der neunziger Jahre auch nationalistische Serben, die sich nach westlicher Popkultur sehnten, aber Amerika hassten. In Belgrad gab es damals die Subkultur der Dieselistas, die ausschließlich italienische Diesel Jeans trugen, weil Levi's Symbol für die USA war, und die "Turbofolk" hörten, eine Mischung aus deutschem Techno und serbischer Folklore.

In diesem Kontext haben Modern Talking einen ähnlichen Stellenwert wie einst die D-Mark und heute der Euro, die dem Dollar im Klima des Antiamerikanismus jeweils den Rang als globale Schwarzmarktwährung abliefen.

Singsang im Falsett

Die musikalische Erklärung liegt vor allem im Klangbild von Modern Talking. Das beschränkt sich mit Falsett und spitzen Synthesizerarrangements fast nur auf den oberen Frequenzbereich, unter dem lediglich ein elektrischer Bass hämmert.

Das aber entspricht eher dem Klangbild osteuropäischer und asiatischer Musik, in der die Bassbereiche nur als Trommelschlag vorkommen. Zudem hat dieses Klangbild den Vorteil, dass Modern-Talking-Stücke auch auf den Lautsprechern eines russischen oder chinesischen Autoradios funktionieren, die nur den Frequenzbereich eines Mittelwellensenders wiedergeben können.

Zu guter Letzt waren aber auch die Texte ein Grund für den Erfolg. Weitgehend sinnfrei vermittelten sie über einzelne Reizworte Weltläufigkeit. "Cheri Cheri Lady" suggerierte eine ähnliche Eleganz wie die Flasche Chivas Regal in der Dorfdisco. "Geronimo's Cadillac" federte den Amerikabezug der Automarke mit dem Namen des legendären Apachenhäuptlings ab.

Bewährte Textstruktur

Das alles funktionierte auch bei einem Publikum, das englischen Worten höchstens auf den Etiketten westlicher Konsumprodukte begegnete, weil es auf der Schule Russisch oder Chinesisch gelernt hatte. Ein Konzept, das im osteuropäischen Pop bis heute angewandt wird.

Man muss sich nur die CD "Cosmopolitan Life" anhören, die der Russe Leonid Agutin gerade mit dem Gitarristen Al di Meola aufgenommen hat. Ohne allen Zusammenhang werden da Halbsätze voller Reizworte aneinandergereiht: "Eines Tages am Montag werde ich U-Bahn fahren, von Bombay nach Norwegen werde ich auf der Autobahn fahren". Amerika wird dabei immer noch ausgespart, stattdessen sollen Ortsmarken wie Bombay, Norwegen und Portofino die provinzielle Sehnsucht nach kosmopolitischem Leben anfachen.

Bohlen? War das der Blonde?

Für das Publikum im Hammerstein Ballroom hatte sich diese Sehnsucht natürlich längst erfüllt. Für sie war das Konzert vor allem ein nostalgischer Rückblick in die eigene Vergangenheit.

Da war es egal, dass sich Thomas Anders eine Band mit Musikern zusammengestellt hatte, die die Modern-Talking-Stücke stilistisch nicht korrekt auf richtigen Instrumenten spielten. Es schien auch keinen zu stören, dass Dieter Bohlen nicht erschien. "War das der Blonde?", fragte der polnische Besitzer einer Eisenwarenhandlung aus Pennsylvania.

Thomas Anders wusste, was sein Publikum von ihm erwartete. Bis auf zwei eigene Stücke und ein Schlagermedley beschränkte er sich auf die Hits von Modern Talking. Selbst die kamen nicht alle an. Die Titelmelodie aus "Deutschland sucht den Superstar" wurde mit Ratlosigkeit begrüßt, die neueren Stücke von Modern Talking mit höflichem Applaus.

Gegen Ende schraubte er die Stimmung nach oben, sang "Geronimo's Cadillac" und "Brother Louie" und ging dann von der Bühne, weil das Publikum natürlich auf die beiden größten Hits von Modern Talking wartete. Die gab es nach minutenlangem Jubel als Zugaben: "You're My Heart, You're My Soul" und schließlich, endlich "Cheri, Cheri Lady".

Eines muss man ihm lassen - so ausgelassen war die Stimmung im Hammerstein Ballroom schon lange nicht mehr.

"Thank You!", rief Anders gerührt zum Abschied. Da übernahm schon der Discjockey des polnischen Mittelwellensenders das Mikrofon und verabschiedete die Menge mit einer feurigen Schlussmoderation, deren Inhalt sich dem lediglich englisch- und deutschsprachigen Zuhörer leider entzog.

© SZ vom 29.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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