Mit Audiotheken Leser binden:Jetzt gibt's 'was auf die Ohren

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Der Zeitungsleser von heute ist ein renitentes Geschöpf: Er ist nicht loyal und hat keine Zeit für die Lektüre. Um ihn dennoch bei der Stange zu halten, bieten ihm einige Printprodukte nun etwas mehr Komfort - mit Inhalten zum Hören.

Viola Schenz

Würde man Chefredakteure nach ihrem Traumleser fragen, sähe der wohl so aus: Langjähriger Abonnent, widmet sich ausgiebig der Lektüre, geht nicht bei der Konkurrenz fremd, äußert sich bei Umfragen bereitwillig zu seinen Lese-Vorlieben und behält diese auch bei.

Soweit das Ideal. Die Studien, die regelmäßig auf den Schreibtischen der Chefredakteure landen, liefern ein anderes Bild, eines von einem quasi renitenten Leser: Nicht wirklich loyal, bisweilen sogar Abo-müde, eher wankelmütig in den Lese-Gewohnheiten, überfliegt manchmal nur die Seiten, droht ständig zur Konkurrenz abzuwandern.

Wer nicht lesen will, soll wenigstens hören. Was Zeitungen wie "Die Zeit", das "Handelsblatt" oder auch die "Süddeutsche Zeitung" in den vergangenen Jahren entwickelten, findet inzwischen auch bei Zeitschriften Anklang: das Printprodukt zum Hören. Reportagen, Berichte, Nachrichten, Interviews und Kommentare werden in einer Art Audiothek zum Abruf angeboten - entweder direkt auf der eigenen Homepage oder über einen externen Internet-Anbieter: die Fortsetzung des Lesens mit akustischen Mitteln.

Ursprünglich stammt die Idee aus den USA: Dort kamen Anfang der neunziger Jahre die ersten Hörbücher auf Kassette, später CD auf den Markt. Die Verlage wollten Vielbeschäftigte, Pendler, auch Sehbehinderte nicht als Kunden verlieren. Längst haben sich Hörbücher auch in Europa neben den Druckausgaben etabliert - mit eigenen Verlagen und Bestsellerlisten. Was die können, können wir schon lange - dachten sich offenbar Zeitungs- und Zeitschriftenmacher und basteln sich ihre Hörangebote zusammen.

Das Reportagemagazin "Geo" zum Beispiel aus dem Hamburger Verlag Gruner + Jahr hat sich mit dem Musikladen und Podcast-Anbieter iTunes vernetzt. Der gemeinsame Schwerpunkt liegt auf Reisethemen, auf Geschichten hinter den Geschichten und auf Service. Leseranfragen der Sorte: "Was für Art Trekking-Schuhe brauche ich in Patagonien?", bekommen jetzt direkte, hörbare Antworten von Reiseprofis, meint Jens Rehländer, der als Redaktionsleiter von Geo.de auch für das Audio-Programm verantwortlich ist.

Das wird angereichert mit Kurz-Nachrichten und mit Interviews von aus der Fremde heimgekehrten Reportern. Die sind mittlerweile mit Aufnahmegeräten, manchmal mit Videokameras ausgerüstet. "Als wir jemanden losschickten, um eine Reportage über Kinderhochzeiten in Indien zu bekommen, fiel nebenbei eine Geschichte über das Leben entlang einer indischen Landstraße ab - mit Musik-Einlagen und Folklore-Gesängen", sagt Rehländer.

Alles entsteht ehrenamtlich, denn das Audio-Projekt muss aus sich heraus finanziert sein. Weder gibt es einen gesonderten Etat, noch Werbemittel. Magazinredakteure verwandeln sich in Radiomoderatoren, und die langen Reisereportagen, die Geo ebenfalls bei iTunes einstellen lässt, werden von zwei Kollegen aus dem Haus gesprochen - mit entfernter Eignung: Mathias Ungar arbeitet in der Dokumentation, hat aber Erfahrung als Laienschauspieler. Kerstin Broda arbeitet in der Gehaltsbuchhaltung und hat in ihrer Freizeit mal eine Sprecherausbildung gemacht.

Produziert werden die Hörstücke mit den Hörfunkamateuren im Mini-Studio der benachbarten Henri-Nannen-Journalistenschule, sofern "das zufällig mal frei ist" (Rehländer), sonst in Redaktionsräumen. Die Ergebnisse klingen: bestenfalls puristisch, ohne akustischen Schnickschnack, mit dem einen oder anderen Versprecher. Man wolle ja keine agenturgestylte Sendung, sagt Rehländer: "Wir kommen lieber ehrlich und authentisch daher." Klar. Und sympathisch. Und kostenlos ist es auch.

Natürlich ließe sich das Produkt professioneller fertigen, stünden Mittel zur Verfügung. Doch für die Audioinhalte gibt es noch keinen Werbemarkt, vielleicht auch, weil es Werbung sein sollte, die zu den Inhalten passt. Findet jedenfalls Rehländer, er sagt: "Es gibt aber Überlegungen im Verlag, die Podcasts parallel als Hörbuchreihe zu verkaufen." Bekommen wird man ganz sicher eine Einschätzung über die Vermarktbarkeit solcher Audioinhalte.

Beim britischen Wochenmagazin "The Economist" wird die Audiothek großzügig subventioniert. Seit Mitte Juli gibt es jede Woche die gesamte Ausgabe zu hören: also vom Nachrichten-Überblick über die Auslandsreportagen, die Finanzberichte, die Buchbesprechungen und Leserbriefe zum ganzseitigen Nachruf.

Die Ausstattung des "Economist" ist mustergültig: Professionelle Hörfunksprecher und Schauspieler, Klavier- und Gitarrenakkorde zur musikalischen Untermalung der Überschriften. Selbst der ein oder andere Kraftausdruck in den Artikeln werde mitgelesen, warnt die Redaktion mit typischer "Economist"-Ironie ihre Leser und rechnet für sie auch vorsorglich aus, wie lange es dauert, sich den kompletten "Economist" anzuhören, sechs bis sieben Stunden.

Donnerstag Mittag ist Redaktionsschluss für die Print-Ausgabe. Die Audioversion ist bereits Freitagnachmittag abrufbar, werbefrei und für Abonnenten kostenlos. Billig sei die Nutzung nicht, meint Daniel Franklin, der verantwortliche Redakteur. Aber man wolle nicht knausern und einfach bloß experimentieren. Das Audiomagazin diene schließlich einem Zweck: der Leserbindung. Nicht-Abonnenten müssen acht Dollar fürs Anhören bezahlen, folglich mehr als die Printausgabe des "Economist", die europaweit 5,20 Euro kostet.

Anders lief die Sache bei "Folio", dem monatlichen Audioservice der führenden Tageszeitung in der Schweiz, der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ). "Wir bekamen vergangenes Jahr Anfragen von Download-Anbietern", sagt "Folio"-Chefredakteur Daniel Weber. "Erst haben wir gezögert, aber dann ein Schwerpunkt-Heft Radio gemacht, und dazu passte es."

Das war im März, seither kann man einen Gutteil des "Folio"-Inhalts (in hochdeutsch) über Audible, einen Anbieter von Hörbüchern und Hörzeitungen/Hörzeitschriften, bekommen und für acht Euro runterladen. Dafür übernimmt Audible Produktion und Produktionskosten. So richtig glaubt Weber noch nicht an Sinn und Zweck des "Experiments": "Die Verkäufe gehen bisher nur in die Hunderte, nicht in die Tausende. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Themen unserer letzten Hefte schweiz-spezifisch waren, also nicht so viele Menschen in Deutschland interessierten, und die Schweiz sehr klein ist, also wenige potentielle Nutzer hat." In den Podcasts stecke vermutlich viel Potential.

Keine Angst vor Kannibalisierung

Wer sind die Nutzer? Keiner der Anbieter weiß das wirklich. Für Umfragen sind die meisten Ausgaben noch zu jung. Der typische Nutzer sei männlich, knapp 30, habe einen Hochschulabschluss und höre am liebsten auf dem Weg zur Arbeit zu. Das will eine online-Umfrage im Auftrag der Hubert Burda Media Research unter gut 3000 Podcastern Anfang des Jahres ergeben haben. Und: Je besser die Hörer Podcasts kennen, desto weniger nehmen sie sich Zeit für andere Medien, egal ob es sich um eine Zeitung, das Radio oder das Fernsehen handelt.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich die Angebote kannibalisieren, also die Gefahr, dass bisher treue Leser und Abonnenten ihr Printabonnement gegen die oft kostenlosen Audiomagazine eintauschen? "Wir sehen uns nur als Ergänzung", sagt Geo-Chef Rehländer. "Das Haptische, das Staunen, die Fotos - alles, was das Heft bietet, werden die Hörstücke nie ersetzen können."

Umgekehrt gibt es Effekte: Allein 2006 konnten über Geo.de 20 000 neue Abonnenten der Print-Ausgabe zugeführt werden. Ähnliches verspricht sich Rehländer vom wöchentlichen Reise-Podcast, der im Schnitt jeweils 11 000 Mal heruntergeladen werde, dreimal so häufig wie zum Start im März 2006.

Auch beim "Economist" beobachten die Verantwortlichen den Trend zum orts- und zeitunabhängigen Medienkonsum mit Zweckoptimismus. "Wir müssen den Leuten einen Grund liefern, warum sie sich uns jede Woche mehrere Stunden widmen sollen", meint Audio-Manager Franklin. "Je leichter wir es ihnen machen, uns unterwegs zu konsumieren und so die Zeit effizient zu nutzen, desto besser für uns."

Liegt die Zukunft von Print in der stützenden, multimedialen Verbreitung seiner Inhalte?

"Zeitungen und Zeitschriften überleben auf Dauer nur, wenn sie sich dem Leser anpassen", sagt Franklin. Und NZZ-Mann Weber glaubt: "Magazine werden sich wegen ihrer Anmutung, ihrer Fotos lange halten können, aber Zeitungen müssen sich zusätzliche Kanäle suchen."

© SZ vom 13.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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