Messe:Im Zelt mit Fuchs und Maus

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Natürlich schon verkauft: Albert Oehlens Gemälde "Untitled (Baum 31)" (2015). (Foto: Courtesy of the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin/Paris)

Eine echte Prinzessin, ein falsches Irrenhaus und ein Zahn von Johannes dem Täufer - auf der Londoner Frieze geht es gediegen zu. Nur für die Londoner selbst ist hier immer weniger Platz.

Von Catrin Lorch

Der Kunstherbst in London ist ein ausgreifendes Geschäft geworden. Weil so viele Galerien Vernissagen feiern, sortieren sie sich allabendlich nach Stadtteilen zu Rundgängen, vom East End bis nach Soho. Die großen Auktionshäuser - von Christie's bis Sotheby's zu Bonhams oder Phillips - halten gleichzeitig ihre Auktionen ab; und sechs Messen, von der geschmäcklerischen Pad Design bis zur Off Fair Sunday, eröffnen im Abstand von Stunden.

Im Zentrum steht, unangefochten, die Frieze, die, seit ihrer Gründung 2003 selbst stetig wächst: Das Zelt im Regent's Park, durch das anfangs noch Bäume wachsen durften, weil keiner glaubte, dass es den Gründern Amanda Sharpe und Matthew Slotover gelingen könnte, zeitgenössische Kunst dauerhaft in London zu etablieren, ist inzwischen um viele Alurippen gewachsen. Außerdem steht in fußläufiger Entfernung ein zweites Zelt für den Ableger "Frieze Masters". Dort wird alte Kunst gehandelt, was aus der Perspektive der Frieze bedeutet: Alles, was älter ist als sie selbst.

London ergibt sich wieder der Kunst: Die Financial Times untersucht in Sonderbeilagen, wie es sein kann, dass Werke, die aus Müll oder Zelluloid oder - wie bei Performance - gar nichts bestehen, solide Geldanlagen sind. Der Guardian diskutiert die kuratierten Sonderprojekte, den Skulpturengarten und Gesprächsreihen der Messe. Und sogar der Evening Standard interessiert sich für den Kunst-Trubel, weil auch Prominente wie Benedict Cumberbatch auf der Messe einkaufen. Vor allem die Koje von Iwan Wirth - gerade von der Art Review zum mächtigsten Player des Markts gekürt - hat es dem Boulevardblatt angetan. Auf seinem Stand war während der Vernissage Prinzessin Eugenie von York als Gallerina angestellt.

Wo die Erfolgsgeschichte anfing? Vielleicht bei diesen Gestalten. Unrasiert, nachlässig gekleidet dösen sie in Hartschalenstühlen. Über ihnen hängen Schilder, die auf Fortbildungsmaßnahmen verweisen oder die lokale Kleiderkammer der Kirche. "Beyond Caring" heißt die Serie, die Paul Graham Mitte der Achtzigerjahre begann, als die Wartesäle der Arbeitsämter und Sozialstationen voll waren, weil der brutale Liberalismus von Margaret Thatcher Bergwerke und Industrieanlagen schloss. Dass die konservative Regierung gleichzeitig die Regeln des Finanzmarkts lockerte, sorgte für den beispiellosen Erfolg der Hauptstadt als internationalem Finanzplatz.

In den Achtzigern hätte niemand Fotos von Arbeitslosen gekauft. Heute kosten sie 25 000 Pfund

Mitte der Achtziger konnte man solche Fotografien als Künstler höchstens als Reportage oder Bildband veröffentlichen. Das Buch "Beyond Caring" hat der Londoner Galerist Anthony Reynolds jetzt aber mitten in seiner Koje auf einem Büchertisch ausgelegt, drumherum hängen neue Abzüge der alten Motive. Als zeitgemäß großformatige Edition sollen sie um die 25 000 Pfund kosten, ungefähr so viel wie die kleinen Unikate, die Paul Graham damals als Vorlagen für die Bücher abzog.

Die gediegene kleine Koje voll museumsreifer britischer Kunstgeschichte fällt auf in einem Kunstherbst, der sich ansonsten selbstvergessen am Erfolg berauscht. Auf einer siebenstündigen Auktion bei Christie's wurde ein Gemälde des 1955 geborenen Christopher Wool für knapp fünf Millionen Pfund versteigert. Werke von Ai Weiwei, der in der Royal Academy gerade mit einer Retrospektive gefeiert wird, gehen für 500 000 Euro weg. Mexikanische Konzeptkunst-Galeristen wie Kurimanzutto können auf das aktuelle Museumsprogramm verweisen - Abraham Cruzvillegas bespielt gerade die Turbinenhalle der Tate Modern - und machen deswegen hervorragende Geschäfte.

Und sogar Damien Hirst, der bei vielen als Symbol für den überhitzten Markt gilt, und der deswegen jetzt erst einmal seine eigene Sammlung in London in einem eigenen Museum zeigt, verkauft sich bestens. 750 000 Pfund soll "Holbein (Artists' Watercolour)", sein aktuelles Bild, am Stand von White Cube gekostet haben, es zeigt die auf Wandgröße hochgezogene Palette eines Farbenherstellers.

Es gehört zum Erfolgsgeheimnis der Frieze, dass man solche unerfreulichen News immer wieder mit Niveau und sozialem Bewusstsein ausbalancieren konnte: Mit den kuratierten Sektionen, den Auszeichnungen, die hier verliehen wurden, den Programmen für Schüler. Doch die neue alleinige Messedirektorin Victoria Siddall - die Gründer haben sich zurückgezogen - hat diesen wichtigen Nebenschauplätzen sichtlich weniger Aufmerksamkeit gewidmet.

Jetzt wird die gerade sehr angesagte Rachel Rose mit dem Frieze Award dafür belohnt, eine puppenkleine Kopie des Frieze-Zeltes aufzubauen, in der sie mit Licht und Sound simuliert, wie Fuchs, Maus oder Vogel so eine Kunst-Verkaufsschau erleben würden. Niedlich. Unweit davon kann man seine Geschlechtsteile zeichnen lassen oder sich beim "Temporary Tattoo Studio" anstellen. Fies.

Und auf das ungewöhnlichste Exponat angesprochen, verweist man bei der Frieze Masters, die sich als "Temporary Wunderkammer" apostrophieren lässt, stolz darauf, dass es am Stand von Sam Fogg den Zahn von Johannes dem Täufer zu kaufen gibt.

Der Galerist Helly Nahmad wiederum, der im letzten Jahr mit einer originalgetreu arrangierten Pariser Wohnung eines fiktiven Kunsthistorikers auffiel, scheitert mit dem Versuch, den Erfolg zu wiederholen: Er ließ ein Irrenhaus nachbauen, das an Jean Dubuffets Begeisterung für die Kunst von Geisteskranken erinnern soll. Peinliche Ausrutscher wie diese dürften einer Messe nicht unterlaufen.

Die Wilden von einst liefern den heutigen Sammlern mit der Kunst auch Einrichtungstipps

Während sich die einen inmitten all der hochpreisigen Gediegenheit langweilen, sehen die anderen solche Geschmacklosigkeiten schon als Symptome für das Ende des Kunstbooms. Immerhin: Der Frieze ist das Kunststück gelungen, die zeitgenössische Kunst neu zu positionieren. Zeitgenossen, die man bis in die Achtzigerjahre noch mäzenatisch päppelte, stellen jetzt Spekulationsgut her, das ein eigenes Segment in einem Markt behauptet, der Erfolgskurven für lebende Künstler zeichnet und eine neue Generation von Sammlern nicht nur mit Kunstgeschichte, sondern auch Interieur-Vorschlägen versorgt.

Doch die Szene spricht hypersensibel schon von "früher", was man ja nur dann tut, wenn die Gegenwart enttäuscht. Die Einwohner der Stadt, die so viel beigetragen haben zum Image der jungen Zeitgenossen, sind indes bestenfalls noch als Staffage gefragt. Die Kunstszene entzieht sich ihnen. Alle Boutiquen in Soho und Mayfair dekorieren ihre Schaufenster mit Kunst, doch der Eintrittspreis der Frieze ist hoch, die Vernissagen werden exklusiver, und VIP-Programme ersetzen Führungen für Schulkinder.

Offensichtlich hat sich das Team der Frieze auch nicht weiter darum bemüht, inmitten all der lukrativen Geschäfte den Sponsor zu ersetzen, der die Ankäufe der Tate Gallery finanzierte. Zur Frieze-Eröffnungsparty wurde bekannt, dass - nach dem 100. Ankauf im vergangenen Jahr - die Organisation Outset ihre Kooperation aufgibt und niemand sie fortführt. Es waren solche Programme, die nicht nur die öffentliche Diskussion um Werte und Inhalte der Kunst befördert hatten, sondern auch sicherstellten, dass vom Boom - wenn die Zelte einmal abgebaut sind - etwas bleibt.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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