Merowinger in Moskau:Absurd zerrissen

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In Moskau eröffnet eine deutsch-russische Merowinger-Schau. Gezeigt werden darf sie allerdings nur in Russland.

Daniel Brössler

Als Thema stand eigentlich das frühe Mittelalter auf dem Programm, galt es doch, die Ausstellung "Merowingerzeit - Europa ohne Grenzen" zu eröffnen. Durch den prächtigen Italienischen Hof des Puschkin-Museums zu Moskau wehte indes unverkennbar der Geist der Aufklärung.

Vernunft war das Wort der Stunde. Fast alle Redner nahmen es, in verschiedenen Variationen, in den Mund. Von einem "Sieg des gesunden Menschenverstands" sprach der Leiter der russischen Kulturbehörde, Michail Schwydkoi. Die Fähigkeit, "die Dinge pragmatisch zu sehen", lobte Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Die am Montag in Moskau eröffnete Schau über die frühmittelalterliche Herrscherdynastie der Merowinger ist Ergebnis eines deutsch-russischen Experiments. Das Puschkin-Museum, die St. Petersburger Eremitage sowie das Staatliche Historische Museum Russlands haben sich mit dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte zusammengefunden, um 1300 Exponate zu zeigen.

Das ist gewiss, wie es Kulturstaatsminister Bernd Neumann tat, "als sensationell zu beschreiben", denn 700 der Ausstellungsstücke sind "Beutekunst" - Stücke aus den Beständen des Museums für Vor- und Frühgeschichte aus Berlin, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion gebracht wurden. "Kriegsbedingt verbracht" lautet die russische Sprachregelung, auf welche die Gastgeber auch am Montag bestanden.

Ausstellung in Deutschland unmöglich

In diesem Spannungsfeld liegt, politisch gesehen, der Reiz der Merowingerschau. Die Beutekunstverhandlungen zwischen Deutschland und Russland stecken seit Jahren in einer Sackgasse. So haben sich beide Seiten auf eine Form der Kooperation verständigt, die keinen zwingt, den eigenen Standpunkt zu verlassen.

"Es wurde der vernünftigste und pragmatischste Weg gewählt. Wir können unsere Diskussionen fortführen, aber darunter sollte das Publikum nicht leiden - weder das deutsche noch das russische", sagte Schwydkoi. "Wir müssen es erreichen, dass Objekte, die zum Weltkulturerbe gehören, gezeigt werden können", sekundierte Neumann. An der deutschen Rechtsposition ändere das nichts.

Die Ausstellung führt Stücke zusammen, die seit 60 Jahren getrennt sind. Zu diesem Zweck sind aus Berliner Beständen 200 Leihgaben nach Moskau geschickt worden - was nun für Lehmann die "absurde Zerrissenheit der Sammlung" dokumentiert. In der Archäologie komme es weniger auf das Einzelstück als auf den Kontext an. Diesen zu zeigen, werde durch die Schau nun "temporär erreicht".

Danach freilich muss der absurde Zustand der Zerrissenheit wieder hergestellt werden. Vernunft und Pragmatismus erleichtern zwar die Zusammenarbeit der Museen, zu einer wirklichen Annäherung in der Beutekunst-Frage führen sie bislang nicht - was die betagte Direktorin des Puschkin-Museums, Irina Antonowa, die als strenge Zeremonienmeisterin auftrat, wohl auch nach Kräften zu verhindern trachten würde.

Bis 13. Mai ist die Ausstellung in Moskau zu sehen, danach in Sankt Petersburg. Eine Präsentation in Deutschland ist vorläufig unmöglich. Dort wäre ein großer Teil der Exponate ein Fall für die Justiz.

© SZ vom 13.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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