Mel Gibsons neuer Film:Barbarische Zeiten

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Hungrig, gierig und ungeheuer brutal: Mel Gibson erzählt in "Apocalypto" von den blutrünstigen Maya und den Machtkämpfen der Gegenwart.

Susan Vahabzadeh

Ungeheuerlich brutal ist Mel Gibsons neuer Film "Apocalypto", ein schwer erträgliches zweieinhalbstündiges Gemetzel - ein Maya-Dorf wird überfallen von herrschsüchtigen, gierigen, machtbesessenen Kriegern von unfassbarer Grausamkeit. Man müsste schon ein ziemlicher Rohling sein, um sich das mit Freuden anzuschauen, aber Gibson will "Apocalypto" als Parabel verstanden wissen, er prophezeit den Untergang des amerikanischen Imperiums, einer Gesellschaft, in der es einfach nicht genug Respekt gibt vor dem Leben an sich und die getrieben ist von ihrer Gier. Soldaten sinnlos in den Irakkrieg zu schicken, hat Gibson im September gefragt, was ist das anderes als ein Menschenopfer? Es herrschen barbarische Zeiten.

Derbe Späße - die Jäger im Regenwald, in Mel Gibsons "Apocalypto". (Foto: Foto: Constantin)

Ein Zitat des Historikers Will Durant hat Gibson seinem Film, den er zusammen mit Farhad Safinia auf Maya geschrieben hat, vorangestellt: "A great civilization is not conquered from without until it has destroyed itself from within." Da ging es eigentlich drum, wie Krieg, Werteverlust und Despotismus zum Untergang Roms führten. So intellektuell, wie dieser Ansatz klingt, ist der Film dann aber nicht - der theoretische Teil wird in der ersten Viertelstunde abgehandelt.

Die Geschichte beginnt kurz vorm Untergang eines anderen Imperiums. "Apocalypto" ist eine ganz physisch erzählte Geschichte, die Kamera saust durch den Dschungel, zuckt durchs Dorf, irrt durch die Tempelanlage - eine Flut der Farben, Geräusche, Bewegungen. Ein anstrengender Film, das verursachen die Gewalt und die permanente Bewegung - auch wenn letztere mehr dramatische Entwicklung vorgaukelt, als "Apocalypto" tatsächlich zu bieten hat.

Eine kleine Gruppe von Maya erleben wir am Anfang, das Leben im Urwald ist einigermaßen hart, aber die Welt des Stammes ist in Ordnung - ein etwas derber Humor herrscht unter den jungen Jägern, einer hat Potenzprobleme, was das ganze Dorf amüsiert und dazu animiert, boshafte Streiche auszuhecken, allen voran Jaguar Paw (Pranke des Jaguar). Auf der Jagd begegnen die Männer plötzlich Fremden, Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht - und in ihren Augen erkennt Jaguar Paw eine ihm unbekannte Emotion: nicht einfach bloß Angst, es ist ein blankes Entsetzen, das ihn bis in seine Träume verfolgt.

In der selben Nacht erfolgt dann der Angriff der Krieger aus der Stadt - klassische Kino-Bösewichter, durch und durch schwarze Gestalten, die die Bewohner des Regenwalds entführen, um sie in den Städten entweder zu versklaven oder zu opfern, zur Belustigung und Ruhigstellung des Volkes. Jaguar Paw, in die Stadt verschleppt, muss unbedingt zurück, denn er hat Frau und Kind in einem Erdloch versteckt, und sie kommen dort nicht wieder raus ohne seine Hilfe. Eine wilde Jagd beginnt.

Der Tempel als Folterkammer

Das ganze Gemetzel bleibt eine Machtdemonstration. Die Maya im Regenwald haben sich einmal abends im Dorf ums Feuer versammelt, und ein alter Mann erzählt davon, wie das Böse in die Welt kam: vom traurigen Menschen, mit dem die Tiere Mitleid hatten, und ein jedes gab ihm etwas ab von seinen Fähigkeiten, aber der Mensch wurde nur mächtiger, aber nicht weniger traurig - es ist sein unstillbarer Hunger, der ihn bemitleidenswert macht, seine Gier.

Er wird nehmen, bis die Welt nichts mehr zu geben hat. Gibson hat mit der Zeit seine eigene, etwas wiederholungsfreudige Art gefunden, seine Geschichten zu erzählen, ein ständiger Wechsel zwischen Unruhe und einem forschenden Blick, eingestreute Momente des Surrealen - vieles an "Apocalypto" erinnert an die Rezeptur seines Films "Die Passion Christi".

Ein kleines krankes Mädchen, das den Kriegern aus der Stadt ihr Ende prophezeit, das hat er gefilmt wie seinen Teufel in Jerusalem - der auch schon weiblich war. Eine kleine ländliche Gemeinschaft, zur Brutalität als Verteidigung gezwungen - das war schon bei "Braveheart" Gibsons Thema.

Jetzt trägt dieser Filme aber vor allem eine Bürde, und zwar die, ein Mel-Gibson-Film zu sein - dass das eine Bürde ist, das hat er sich selber zuzuschreiben. "Apocalypto" schaffte es auf Anhieb auf den ersten Platz der amerikanischen Kinocharts - ziemlich unvorstellbar bei einem Film mit Untertiteln, von einem auf Maya ganz zu schweigen -, auch das liegt an Gibson; aber er ist dennoch wieder mal angeeckt mit diesem Film.

Respektloser Botschafter

Dass nicht alles ganz präzise ist, wird so ziemlich jedem historischen Film von den Fachleuten vorgeworfen. Aber Gibson provozierte Proteste der letzten überlebenden Ureinwohner mit seiner Darstellung, in der amerikanischen Kritik schwingt der Rassismusverdacht oft mit. Gibsons Umgang mit den Maya ist wenig respektvoll - zwar hat er im Nachhinein seine Bewunderung kund getan für ihre Bauwerke, ihre astrologischen Kenntnisse, im FIlm spielt aber tatsächlich nur ihre Blutrünstigkeit eine Rolle. Der prachtvolle Tempel hat seinen Auftritt nur als Folterkammer.

Der Vorwurf, Gibsons Sicht auf die Maya sei rassistisch, ist trotzdem Blödsinn - und wenn es nur deswegen so wäre, weil er weiß, dass eine Geschichte Identifikationsfiguren braucht. Auch seine Helden, Pranke des Jaguar und die anderen Männer aus dem Dorf, die wir mögen und mit denen wir mitfiebern sollen, sind ja schließlich Maya.

Den Rassismusverdacht hat er nicht auf der Leinwand erzeugt, sondern im Leben. Würde man sich bei einem anderen Regisseur fragen, ob ein etwas plump placiertes Kreuz am Schluss uns wohl bedeuten soll, dass die Maya froh sein konnten, dass sie endlich jemand christianisiert, mit welcher Brutalität auch immer? Würde man bei Spielberg - der sich mit "War of the Worlds" im Grunde ähnlich sinnentleerter Grausamkeit und dem Untergang geweihter Macht widmet - auch überlegen, welche Volksgruppe er damit herabwürdigen wollte?

Hätte "Apocalypto" jemand anders gemacht als Gibson, könnte man seine Stärken genießen - jene Szenen beispielsweise, in denen es um den Glauben als Machtinstrument geht. Im Tempel, wenn klar wird, dass all die Menschenopfer und Grausamkeiten nichts sind als die Gaukeleien einer Herrscherkaste. Die Untertanen werden verschaukelt, die Priester verkaufen eine Sonnenfinsternis als göttliches Zeichen, von der sie auf die Sekunde genau wissen, wie lang sie dauert und was sie ist. Die Macht ist in den Händen von Leuten, die an gar nichts mehr glauben.

Gibson wollte ein message movie machen, einen gegenwärtigen Historienfilm, ernst genommen werden - aber vor allem ist er ein ausgebuffter Hollywoodianer. Was immer im Kopf von Mel Gibson vorgeht, der Film bleibt eine Projektionsfläche, das Wesentliche entsteht erst in der Interpretation, in der Perspektive, die man seiner Geschichte gibt. Das Kunstwerk kann nichts für seinen Schöpfer.

APOCALYPTO, USA 2004 - Regie: Mel Gibson. Buch: Mel Gibson, Farhad Safinia. Kamera: Dean Semler. Schnitt: John Wright. Musik: James Horner. Mit: Rudy Youngblood, Dalia Hernandez, Raoul Trujillo. Constantin, 138 Minuten.

© SZ v. 13.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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