Mel Gibsons filmisches Bekenntnis:Auf einer Mission von Gott

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Die "Passion" hat mit den privaten religiösen Obsessionen von Mel Gibson zu tun. Auch mit seiner Lust daran, an Grenzen vorzustoßen, anzuecken, aufzuwühlen. Und das, weißgott!, erreicht er mit seinem Jesusfilm mühelos: Schließlich hat er den erfolgreichsten Splatter-Film aller Zeiten vorgelegt.

SUSAN VAHABZADEH

Im Moment passiert genau das, worauf Mel Gibson seit Jahren hinauswill: Er zerstört das Bild von sich selbst. Die Diskussionen über "Die Passion Christi" haben alles andere überlagert, wofür der Mann mal gestanden hat, als habe sich die Weissagung von "Man without a Face" erfüllt - da inszenierte er sich selbst als zerstörten Engel.

Man kann die "Passion" kaum noch unbedarft, als Kinofilm anschauen, aber man kann es versuchen - es ist auf jeden Fall Kino in bester Gibson-Tradition.

Die Grenzen der Leidensfähigkeit, die Mechanismen körperlicher Gewalt, das sind die Dinge, die Gibson als Schauspieler und Filmemacher seit "Mad Max" interessiert haben. Seine Filme haben ihn in Sphären des Hollywood-Ruhms erhoben, in die sonst keiner vorgedrungen ist - oscarprämierter Regisseur, teuerster Schauspieler, sexiest man alive.

Es gibt für ihn nichts mehr zu erreichen in Hollywood, und seit das klar ist, sorgt er, auf unterschiedliche Weise, für Aufruhr: die filmischen Gewaltausbrüche, die sich in "Payback" - klarer Tabubruch - irgendwann gegen eine Frau richten; der bizarre Ausflug in Wenders' "Million Dollar Hotel"; die Selbstdemontage in "Was Frauen wollen", wo er mit Nagellack und Damenstrumpfhosen experimentiert.

Die "Passion" hat sicher mit den privaten religiösen Obsessionen von Mel Gibson zu tun, aber auch mit der Lust daran, an Grenzen vorzustoßen, anzuecken, aufzuwühlen. Das erreicht er, weißgott, mit der "Passion" mühelos.

Der Kern der Geschichte, die Gibson hier erzählt, der Grund, warum er sich für diese brutale Phantasie entschieden hat, liegt im Abendmahl: Dies ist mein Leib... Der Film erzählt von den letzten zwölf Stunden im Leben Christi, die Geschichte treibt auf ihre zentrale Sequenz zu, die Kreuzigung - so ziemlich die furchtbarste Szene des Films -, in die Gibson Rückblenden zum Abendmahl eingewoben hat.

Dies ist mein Leib - Gibson, der es mit seinem Glauben nun mal sehr ernst meint, will herausfinden, was das bedeutet: die Zerstörung dieses Leibes zu erdulden, ein Menschenleben anzunehmen und herzugeben.

Er versucht die abgenutzte Phrase, dass Christus sein Leben gegeben hat für uns, mit Bildern, Leben, Emotionen zu füllen. Er erzählt diese Geschichte, christliches Allgemeingut, so, dass sie in ihrer Brutalität verstörend wirkt.

Soviel ist sicher: Mel Gibson hat mit "Die Passion Christi" nicht nur den erfolgreichsten untertitelten Film - Aramäisch und Latein! -, sondern auch den erfolgreichsten Splatter-Film aller Zeiten gemacht. Er trägt Bilder ins Mainstream-Kino, die es dort bislang nicht zu sehen gab.

Aber verstörender noch als die Gewalt an sich ist die Lust in den Gesichtern der Folterknechte.

Diese explizite Brutalität - Geißelung bis auf die Knochen, blutüberströmte Zusammenbrüche, Kreuzigung en detail - hat ihre Funktion, Gibson will sich ja in Bild machen vom Leid, einen Erfahrungstrip in Sachen Abendmahl machen.

Das ist die realistische Darstellung einer Kreuzigung, auch wenn die Caravaggio-Bilder, die Gibson seinem Kameramann Caleb Deschanel zur Inspiration empfahl, den ausgepeitschten Jesus nicht annähernd so versehrt, in Stücke geschlagen präsentieren, wie es "Die Passion Christi" tut.

Wie bitte soll man sich denn eine Kreuzigung vorstellen? Es ist verständlich, wenn man es so genau nicht wissen will. Aber Gibson würde jede geschönte Darstellung als unehrlich abtun, zu Recht, denn das Bild, das wir uns davon machen, ist erträglicher, aber es stimmt nicht.

Das gleiche gilt für die Enthauptung in "Braveheart", die Prügelszenen in "Payback" - es ist nicht besser, Gewalt so darzustellen, als sei sie harmlos, es ist bloß leichter anzuschauen.

Gibsons Herrgott schickt sich trotzdem an, in den USA "Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs"" vom Einspiel-Thron zu schubsen.

Das wird hierzulande schwer werden, er wird mehr als Film bestehen müssen denn als Glaubensbekenntnis. Auf dieser Ebene ist er "Braveheart" auf aramäisch.

Gedreht hat Gibson "Passion" sehr ähnlich, er arbeitet mit den selben Tricks, dem selben Pathos, Zeitlupen - das ist sein filmemacherisches Arsenal; er ist, was die Technik des Filmemachen betrifft, lange nicht so risikofreudig wie als Geschichtenerzähler.

Ein solides Stück Hollywood - gut gespielt, mit Jim Caviezel als Jesus und der Maria Magdalena Monica Belluccis als einzigen Stars.

Zu den überraschendsten Einfällen des Regisseurs Gibson gehören sicherlich seine wunderbaren Teufelsphantasien: Die Auftritte Satans sind wirklich bewegend, beklemmend, da ist der Film nicht Splatter, sondern subtiler Horror: creepy.

Im Gesicht der Teufelin (Rosalinda Celentano, Adrianos Tochter) sucht die Kamera immer wieder nach der Antwort auf die Frage, ob sie morbide schön ist oder abstoßend - faszinierend ist sie allemal, in ihrer Zweideutigkeit die schillerndste Figur.

Einmal zeigt er sie als dunkle Madonna mit Kind: Viva Maria. Schaut man sich die "Passion" unbefangen an, sind das die Dinge, die zählen - dass er sein Ziel erfüllt, wie er das tut. Was den Rest betrifft, wie weit man ihm folgen will in seiner Leidensreligion, was man hineinprojiziert in diese Erzählung - das muss nun wirklich jeder selbst entscheiden.

Antisemitisch ist der Film, das Kunstwerk an sich, nicht - das muss man erst in ihn hineinlesen und sehen. Um ein Beispiel zu nennen: Die Darstellung der römischen Soldaten - trotz eines unhistorisch reingewaschenen Pontius Pilatus insgesamt nicht sehr schmeichelhaft - könne die Darstellung der Juden nicht aufwiegen, befand der New Yorker, da den fiesen Römern sozusagen durch Kaiser Konstantins Bekenntnis zum Christentum nachträglich Vergebung gewährt wird: "Also triumphierten die Nachfahren der Römer, während die Juden ins Dunkel verstoßen wurden und, so könnte man aus diesem Film schließen, bekamen, was sie verdienten." Das ist keine logische Schlussfolgerung, das ist Projektion.

Diese Projektion betrifft wiederum Mel Gibson selbst, seine Heimlichtuerei, das Rein- und Rausschneiden des Satzes "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!" (der nun wohl drin ist, aber nicht in den Untertiteln vorkommt) - vielleicht ist das reines Querulantentum.

Und nebenbei hat er sich selbst eine neue Mission erfunden - er hat ein weiteres Bild von sich selbst geschaffen, das er nun zerstören kann.

THE PASSION OF THE CHRIST, USA 2004 - Regie: Mel Gibson. Buch: Mel Gibson, Benedict Fitzgerald. Kamera: Caleb Deschanel. Mit: Jim Caviezel, Monica Bellucci, Maia Morgenstern, Sergio Rubini, Rosalinda Celentano. Constantin, 127 Minuten.

© SZ v. 17.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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